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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Adelung, Sophie von: Das russische Kostüm, [2]: eine Atelier-Studie
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0465

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von 5. v. Adelung

26(


Ateliers aber stand die Staffelei mit der Skizze —
Lensky hatte sie geschmackvoll mit einem schweren Samt-
stoff drapiert — und vor der Staffelei, in Sackleinwand
eingchüllt und fest vernäht, lag — das, oder wie mein
Freund gesagt haben würde — die Kostüm.
Als wir alle versammelt waren, schnitt Lensky
feierlich die Schnüre auf, welche das Gewebe zusammen-
hielten. „Alle Wetter!" rief einer von uns, „ist das
eingepackt! das müssen Frauenhände gewesen sein, Lensky,
unsereiner brächte es nicht so zustande."
Lensky erwiderte nichts. Mit vor Aufregung
zitternden Händen trennte er den Ballen auf — neu-
gierig umstanden wir ihn. Endlich wurde der Bastkorb
sichtbar, in den die einzelnen Gegenstände eingepackt waren
— ein Brief lag obenanf.

schreiende Farben, unechte Gold- und Silberborten, sogar
am Kopfputz mit seinen allerdings echten Perlen, war
neuer, glänzender, knallblauer Brokatstoff, nagelneue
raschelnde Atlasbänder in allen Regenbogenfarben. Lensky
war wie vernichtet: er starrte immer wieder auf die
Sachen, dann in den Brief und hatte uns anscheinend
gapz vergessen.
Später erfuhr ich auch den übrigen Inhalt des
Schreibens; damals aber verstand ich nichts vom ganzen
Zusammenhang. In dem Brief stand weiter:
„So habe ich es denn ganz aufgetrennt; die alten
Stoffe alle verbrannt und das Kostüm ganz aus neuem,
schöneren Material selbst genäht, ganz genau wie das
alte war. Ich dachte freilich nicht, daß es so eine große
Arbeit sei, das Perlenaufreihen besonders. Ich habe


Lowrn rin Kampfe mit einem Nashorn, von Wilhelm Kuhnert
Münchener Iahres-Ausstellung ^890

„Ich bat um genaue Beschreibung, wie das Kostüm
anzuziehen ist," sagte Lensky — „et voilä! Ich will
den Brief ins Deutsche übersetzen — Ihr alle hört zu:
,-Aou tres clrsr cousin. Du hast sehr lange auf
die — auf die Kostüm warten müssen. Aber als ich sie
bekam, war sie so zerrissen und beschmutzt, daß ich sie
ganz habe auftrennen müssen . . . .'
Teufel! was ist das?!"
Und der Brief siel zu Boden, während Lensky mit
fliegender Hast die Kleidungsstücke, eines nach dem an-
dern herausriß, ihrer sorgsamen Verpackung nicht achtend,
und sie auf dem Boden ausbreitete. Wir umstanden ihn
schweigend, atemlos — ich sehe noch die Gruppe.
Himmel! was war das für eine grausame Ent-
täuschung für meinen Freund! Da lag es vor ihm,
das Kostüm, unbrauchbarer Maskeradenflitter, grelle,
Die Kunst für Alle V

von früh bis spät daran gearbeitet, damit du es schneller
bekommen solltest, und hätte gern die Nächte dazu ge-
nommen, aber die Tante war so böse, ich mußte es oft
heimlich thun. Es hat lange gedauert, doch jetzt ist
alles gut, und du hast dein Kostüm und wenn du siehst
wie schön neu und rein und glänzend alles ist, wirst
du nicht böse sein, daß du so lange hast warten müssen.
Deine Kousine Wera."
Mein armer Freund! Zum zweitenmal um seine
liebsten Hoffnungen betrogen, durch dieselbe grausame Hand.
Es war eine sehr gezwungene Heiterkeit, die wir
an jenem Nachmittage heuchelten, als uns Lensky endlich
ausforderte, seine kleine Mahlzeit einzunehmen. So
lächerlich die Sache im Grunde auch war, keiner von
uns. hatte Lust zu lachen, und ein jeder fühlte die Ver-
stimmung der andern als Druck auf sich lasten. Der
qs
 
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