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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 19.1903-1904

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Bie, Oscar: Ueber den Genuss alter Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.12082#0027

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-3-4sg> UEBER DEN GENUSS ALTER KUNST

GEDANKEN ÜBER KUNST

einem bestimmten Tage stieg ihm die Schön- Auge, als ob es Symbole eines Prozesses
heit Crivellis auf und er ahnte den himm- wären, der sein heißes gegenwärtiges Leben
lischen Glanz dieser jubilierenden Dekoration, unter dem milden Glanz abgestimmter Ver-
die Fruchtschnüre, Juwelen und Brokate, gangenheiten verbirgt — ein Teppich der
Lilienornamente und weiße Mönchskleider in Geschichte.

einer singenden Harmonie gruppiert um die Oscar Bie

zierliche Gebärde, mit der der alte Petrus
den Schlüssel von einem Kinde sich reichen
läßt. An einem bestimmten Tage schlug
sich ihm das Märchenbuch Altdorfers auf
mit den getürmten Palästen, die er träumte,
den Parkscenen, wo Satyrn und Nymphen
ihre Gruppen stellen, von Brunnen, an denen
man sich auf der Flucht nach Aegypten aus-
ruht. Er gewann sich die Mauritiusse des Die Kunst ist stets selbstsüchtig nur mit ihrer
Grünewald, Rogers Edelfräulein Salome, eigenen Vervollkommnung beschäftigt — sie trägt kein

Bellinis Terrassenmadonna und den roten » le!hren ~ fe sucfl! un? .fndet d£

Schone in allen Lagen und zu allen Zeiten. — So
Stoff der Rembrandtschen Susanna als Eigen- tat ihr Hoherpriester Rembrandt, als er malerische
tum. Alle diese schönen alten Sachen ge- Größe und edle Würde im Judenviertel von Amster-
hören jetzt ihm, ohne Mühe kann er sie dam entdeckte und nicht klagte, weil seine Bewohner

,.™t„„o„i,„„ c„™^ti,ian t nicht Griechen waren. So taten Tintoretto und Paolo

gegen andere umtauschen, bvmpatnien, Launen ._ .__„___.. , . . ,. ,

& & J X i • j Veronese unter den Venetianern, als sie nicht davor

und Zufälle formen seine Galerie und er scheuten, den klassischen Faltenwurf Athens in sei-
sieht auf alle diese Schätze mit einem ruhigen denen Brokat zu verwandeln. So tat am Hofe

Philipps Velazquez, dessen in
unschöne Reifröcke gekleidete
Infantinnen als Kunstwerke den
Elgin Marbles< gleichstehn.
Keine Reformatoren waren diese
großen Männer — keine Ver-
besserer des Lebens der anderen!
Ihre Schöpfungen allein waren
ihre Beschäftigung, und, erfüllt
von der Poesie ihrer wissenden
Kunst, verlangten sie nicht da-
nach, ihre Umgebungen zu än-
dern — denn, wie die Gesetze
der Kunst sich ihnen offen-
barten, sahen sie in der Ent-
wicklung ihres Werkes jene
wirkliche Schönheit, die für sie
ebensosehr ein Gegenstand der
Gewißheit und des Triumphes
war, wie es für den Astronomen
die Bestätigung eines Resultates
ist, das er mit einer Beleuch-
tung, welche nur ihm ward,
vorhersah. Bei all dem war
ihre Welt vollkommen getrennt
von der ihrer Mitgeschöpfe, bei
denen fälschlich das Gefühl für
Poesie gilt, und für die es kein
vollkommenes Werk gibt, das
nicht durch die Wohltat^ er-
klärt werden könnte, welche es
ihnen gewährt.

*

Die Kunst ist ein Zufall —
keine Baracke ist sicher vor
ihr, kein Fürst kann sich auf
sie verlassen, die umfassendste
Intelligenz kann sie nicht er-
zeugen, und schwächliches Stre-
ben, sie allgemein zu machen,
franz stuck danzarina endet in verdrehter Komödie

Photographieverlag von Franz Hanfstaengl, München und roher Farce.

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