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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 19.1903-1904

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Die deutsche Kunstabteilung in St. Louis
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https://doi.org/10.11588/diglit.12082#0162

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-*=4sö> DIE DEUTSCHE KUNSTABTEILUNG IN ST. LOUIS

das Schlagwort. Die deutschen Ausstellungen
wurden mit französischen (nicht den besten)
Werken überschwemmt, um den deutschen
Malern Gelegenheit zu verschaffen, unter
Aufgabe ihrer Individualität und Tradition
französische Kunst nachzuahmen. Wer nicht
alljährlich die aus Paris importierte neue
Mode („Richtung") mitmachte, wurde als
rückständiger „Auchmaler" an den Pranger
gestellt. Die deutsche Presse, welcher alles
„Aktuelle" Bedürfnis ist, half getreulich die
einheimische Kunst zu verketzern und die
französische als unerreichtes Muster zu be-
zeichnen. Die ausländische Presse wußte
die günstige Konjunktur witzig zu benützen,
indem sie unter Hinweis auf dieses Armuts-
zeugnis der deutschen Kunst die eigene pries
und so die Kauflustigen veranlaßte, im Vater-
land oder in Frankreich, von wo ja die Muster
exportiert wurden, ihren Bedarf zu decken.
So ging der deutsche Bilderexport nach
Amerika, der früher jährlich Millionen be-
trug, auf verschwindende Summen zurück.

Als endlich die französische Quelle ver-
siegte, weil keine Schlager mehr gefunden
wurden, die sich durch ihre Oberflächlichkeit
eigneten, in Deutschlands Sezessionen als
neueste „Richtung" angestaunt und nachge-
ahmt zu werden, mußte ein neues Schlagwort
in die Welt gesetzt werden. Da „sich die
Kunstentwicklung in Sprüngen bewegt", wurde
es just das Gegenteil der früheren „einzig
richtigen Kunstanschauung", es hieß „Indivi-
dualität". War der Nachahmungstrieb den
Sezessionisten schon ins Blut übergegangen,
oder konnte sich ihr Blick, der so lange in
westliche Ferne geschielt hatte, nicht so
schnell in das eigene Innere wenden, kurz
das Resultat der „neuesten Richtung" blieb
weit hinter allen Hoffnungen zurück. Wer
heute eine sezessionistische Ausstellung be-
sucht, wird französische, holländische, eng-
lische, schottische, spanische, pompejanische
und sogar japanische Imitationen finden, aber
wenige Werke, die eigene deutsche Anschau-
ung aufweisen.

Und solche Werke sollen die „deutsche
Kunst" in Amerika repräsentieren, wo der
Vergleich mit den Originalen möglich ge-
macht wird.

Ein kleiner Teil der Sezessionisten nur
hielt sich von Nachahmungen fern und wan-
delte seine eigenen Bahnen. Die „malerischen
Probleme" aber, die er zu lösen suchte,
wurden sein Fluch. Die Presse, welche die
Sezessionisten zu einer früher ungeahnt mäch-
tigen Richterin in Kunstdingen gemacht hatten,
verlangte stets neue Anregung, „Aktuelles",

und ließ keinem Künstler Zeit, zu harmo-
nischer Entwicklung zu kommen. Sie be-
gehrte so lange klar ausgesprochene Indivi-
dualität von ihm, bis der Künstler in einen
Manierismus gehetzt war, wie er selbst unter
der Herrschaft der Zopfzeit sich nicht deut-
licher aussprach. Welcher noch so begeisterte
Kunstfreund wird Lust haben, täglich und
stündlich ein mehr oder minder gut gemaltes
Problem vor Augen zu haben und sich für
die Lösung, welche doch eigentlich bloß
Künstler interessieren kann, stets einen gleich
freundlichen Blick zu bewahren, während die
Bilder der Genossenschaftler, um einen
Sammelnamen anzuwenden, ebenso Gemüt
wie Auge erfreuen. Sie behandeln eben
Stoffe, die das allgemeine Interesse erwecken,
und rinden hierfür einen Ausdruck, der die
Errungenschaften einer langen Kulturepoche,
die Natur und das Vaterland nicht verleugnet,
um eigenartig zu erscheinen.

Wer könnte zweifeln, mit welchen Bildern
man den amerikanischen Kunstmarkt erobern
kann!

Als der Reichskommissär die Inscenierung
der Kunstabteilung in St. Louis endlich der
Allgemeinen deutschen Kunstgenossenschaft
übergab, war er sich wohl bewußt, daß diese
Genossenschaft als Vertreterin aller Künstler
Deutschlands (auch der Sezessionen, die
mehrere Lokalvereine darin bilden), die einzig
hierzu berechtigte war und eine Majorisie-
rung der Sezessionen in keiner Weise zu
fürchten ist.

Wie aber auch das Resultat ihrer Auswahl
trotz des Mangels an Vorarbeiten seitens der
nunmehr aufgelösten Kommission, trotz der
kurzen Zeit und der schwierigen Umstände
sein wird, ihr Urteil ist von Herrn Rosen-
hagen bereits gefällt, ein neues „Debacle"
wird konstruiert. Der alte Parteifanatismus,
der Deutschlands Fluren so oft verödet hat,
erkennt auch heute nicht den gemeinsamen
Feind; statt getrennt zu marschieren und
vereint zu schlagen, zerfleischt man sich zum
Jubel der Gegner und zum Jammer aller
Vaterlandsfreunde.

Die Kunst bleibt Kunst!

Wer sie nicht durchgedacht,

Der darf sich keinen Künstler nennen;

Hier hilft das Tappen nichts;

Eh' man was Gutes macht,

Muß man es erst recht sicher kennen.

Goethe

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