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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 20.1904-1905

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Bredt, Ernst Wilhelm: François Millet: sein Leben und seine Briefe
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https://doi.org/10.11588/diglit.12355#0029

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-*-feÖ> FRANQOIS MILLET <ö^-

auf der weitschauenden Küste von Gruchy, alle die
Personen und noch mehr die große Natur und die
patriarchalischen Anschauungen, alles was auf des
jungen Künstlers Psyche von unvergeßlichem Ein-
druck war, schildert uns Julia Cartwright mit großer
Feinfühligkeit. Und glänzend, aber nicht im ge-
meinen rhetorischen Sinne, ist auch jenes ergrei-
fende Kapitel geschrieben, das von des Künstlers
Ruhm erzählt, der so rasch gewachsen, als die lang-
sam sich aufrankenden Rosen noch kaum des Künst-
lers Grab in Barbizon schmückten.

Der reiche Inhalt dieser meisterlichen Biographie,
in der wir durch eine sehr große Zahl Milletscher
Briefe gleichzeitig ein autobiographisches Werk er-
halten haben, möge hier so anzugeben versucht
werden, daß gleichzeitig der Verfasserin warm-
herzige und überzeugende Darstellung etwa zu er-
kennen ist.

Millet, eines Bauern Enkel, eines Bauern Sohn,
wuchs bis zum Jüngling heran ohne den Wunsch,
eine andere Existenz zu führen als die, zu welcher
er geboren und erzogen. Aber die Eindrücke, die
er empfing und die er in sich aufnahm, waren groß
und ernst, und sie haben nichts gemein mit eines
Ackerers Jugend, der im engen Tal nichts von der
Welt Größe fühlt und nicht einmal die Last der
Alltäglichkeit empfindet.

Millet war anders — früh wurde bemerkt, wie
er anders als andere Knaben war. Das gewaltige
Meer war wohl sein mächtigster Erzieher. Das
Meer und der Himmel war ihm wie eine Welt
voll Wunder und Geheimnisse und als Knabe schon
fand er in den Werken der großen Dichter — im
Virgil, in der Bibel »gigantische Monumente<. Der
Knabe las viel und alles regte ihn zum Nachdenken
F. a. VON kaulbach emil sauer so an, daß der gute Abbe von Gruchy ihm wohl

glücklicherweise nicht solch Unheil und Ver-
worrenheit anrichten, wie das Werk des tech-
nisch größeren Manet. Aber Manets Kunst
gab etwas äußerlich Neues — Millet war
Revolutionär vom Herzen heraus. Daß nicht
das »Andersmachen« die Persönlichkeit aus-
macht, sondern das »Anderssein«, haben wir
durch unsere großen Ausstellungen vergessen.
Was eine innere, wahrhaftige Persönlichkeit
ausmacht, zeigt uns Millets Leben und Werk.
— Es ist wohl kein Zufall, daß Millets Werk,
das was die Allgemeinheit also anging, dem
Künstler immer Unglück brachte — aber per-
sönlich, dem Menschen Millet hat es, trotz
allem und großem Mißgeschick nie an Glück
gefehlt — es waren immer einzelne — es
waren die, die ihn wirklich kennen gelernt,
die ihm das Glück brachten.

Eines solchen Künstlers Leben kennen zu
lernen muß Genuß sein, und um so mehr
Genuß, je mehr des Künstlers eigenes Empfin-
den und Wollen zum Worte kommt.

Julia Cartwright danken wir eine Bio-
graphie Millets,*) die vielleicht aus mehr als
einem Grunde neben die Autobiographie Lud-
wig Richters zu stellen ist, zumal die Ueber-
setzung von Clara Schroeder das Werk zu
einem deutschen gemacht hat. Julia Cartwright
erzählt uns Millets Leben von der Wiege
bis zum Grabe, ja Millets väterliches Haus,

*) Jean Fratifois Millet. Sein Leben und
seine Werke (His life and letters) von Julia Cartwright.
(Mrs. Henry Ady.) Aus d. Englischen übersetzt von Clara
Schroeder. Einzig autorisierte Ausgabe. Leipzig 1903.
Herrn. Seemann Nachfolger. (12 Mark) F. A. VON KAULBACH BILDNIS DORIS K.

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