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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 20.1904-1905

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Rosenhagen, Hans: Die Neuerwerbungen der Königlichen National-Galerie zu Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.12355#0340

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DIE NEUERWERBUNGEN DER KÖNIGLICHEN NATIONAL-GALERIE

ZU BERLIN

Cs ist ganz natürlich, daß in künstlerisch unfrucht-
baren Jahren die Blicke der Galeriedirektoren,
auch die eines so moderngesinnten, wie Herrn von
Tschudis, in die Vergangenheit schweifen, und zwei-
fellos sind dort noch sehr interessante Entdeckungen
zu machen. Jedenfalls hat es in der Malerei des
19. Jahrhunderts und sogar in Berlin außerordent-
liche Erscheinungen gegeben, von denen die Kunst-
geschichte nichts oder doch nur ganz wenig weiß.
Wer kennt Johann Erdmann Hummel oder Karl
Ludwig Buchhorn? Von der heutigen Generation
in Berlin kaum jemand, und doch sind beide ganz
ausgezeichnete Künstler gewesen. Joh. Erdmann
Hummel (1769—1852), der in Kassel und Berlin
gewirkt hat, ist als Urheber der vor einem Jahr im
Künstlerhaus ausgestellt gewesenen drei Bilder er-
mittelt worden, die das Schleifen, Transportieren
und Aufstellen der Granitschale vor dem Alten
Museum in Berlin schildern und die damals ob ihrer
merkwürdig realistischen Haltung und der gut her-
ausgebrachten Absicht, Freilicht-Darstellungen zu
geben, allgemeines Aufsehen erregten. Zwei dieser
Bilder >Das Schleifen der Granitschale« und »Die
provisorische Aufstellung im Lustgarten« sind der
National-Galerie von dem Besitzer, Kommerzienrat
Bialon, geschenkt worden. Außerdem ist die Galerie
in den Besitz eines weiteren Bildes des Malers
>Die Schachpartie« gelangt, das einige bekannte
Berliner Persönlichkeiten, wie den Architekten
Genelli, den Grafen Ingenheim, den Maler Bury,
den Grafen Brandenburg und Hummel selbst in
einem von Kerzen beleuchteten Zimmer um ein
paar Schachspieler versammelt zeigt. Durchs Fen-
ster sieht man den Mond am blauen Nachthimmel.
Karl Ludwig BucHHorn (1770—1856) war ein
hervorragender Porträtzeichner. Eine von den er-
worbenen Arbeiten stellt Gottfried Schadow stehend
dar, äußerst lebendig aufgefaßt und mit energischen
Strichen flott gezeichnet. Einige andere Porträts
wirken direkt malerisch. Die Dresdener Ausstellung
hat dem deutschen Publikum eigentlich erst einen
Begriff davon gegeben, was für ein großartiger und
vielseitiger Künstler Georg Ferdinand Wald-
müller (1790—1866) war, und die Ausstellung bei
Miethke-Wien im vergangenen Herbst überraschte
selbst die, welche diesen wundervollen Maler jetzt
gut zu kennen glaubten. Es ist Herrn von Tschudi
gelungen, für seine Galerie vier höchst charakteri-
stische Stücke von Waldmüller zu erwerben. Das
schönste davon ist eine »Praterlandschaft« mit
sehr tiefliegendem Horizont, vorn eine Gruppe
riesiger Bäume, in der Ferne Häuser. Welche
Klarheit der Farbe! Welche vollendete Zeichnung!
Die schöne helle Luft meisterhaft. Wundervoll
die Lufttöne an den fernen Häusern. Ganz präch-
tig ist auch ein >Blick auf Ischl«. Vorn eine
Bauernfamilie. Man muß erstaunen über die Natür-
lichkeit, mit der Waldmüller das Grün in der
Natur gibt. Die duftige, heitere Ferne mit dem
Ort und den umgebenden Bergen ist einfach herr-
lich. Und wie fein hat der Künstler den Charakter
der Gegend erfaßt! Dann sind zwei Bildnisse von
ihm da. Das Brustbild einer alten Dame mit weiß-
seidener Spitzenhaube wirkt weniger glatt als das
Porträt einer behäbigen Bürgersfrau in weinrotem
Kleide, einen weißen Kaschmirschal auf dem
Schoß, an die sich zärtlich das weißgekleidete

Töchterchen schmiegt. Die Reinheit und Schönheit
eines so lieben blonden Mädchens kann nicht leicht
anmutiger wiedergegeben werden. Ein zweiter, sehr
liebenswürdiger Wiener Künstler aus der Wald-
müllerzeit ist Erasmus Engert (1795—1871), der
in einem kleinen Bilde >Im Garten« eine ganz ent-
zückend intime Naturbeobachtung liefert. In diesem
Gärtchen sitzt vorn ein junges graugekleidetes
Frauchen mit dem Strickstrumpf und liest in einem
großen, auf ihren Knieen liegenden Buche. Hinten
ein steifes weißes Häuschen, das von Sonnenblumen
umblüht wird. Aber Herr von Tschudi hat dieses
Mal überhaupt eine glückliche Hand gehabt. In
Brüssel hat er einen wundervollen, für verschollen
gehaltenen Wilhelm Leibl kaufen können, eine
>Dachauerin mit ihrem Kinde«, die vor einergrauen
Wand sitzen. Das Bild ist um die gleiche Zeit ent-
standen wie die »Beiden Dachauerinnen«, also etwa
1873, und ist kein minder schönes Stück Malerei.
Prachtvoll ist das Schwarz der Mützen und Kleider,
und die Malerei der Köpfe bei aller Kraft von der
erstaunlichsten Weichheit. Ein erstklassiges Werk
ist vor allem der neuerworbene Hans Thoma »Der
Rhein bei Säckingen«. Da sieht man, was Thoma auch
als Maler leisten konnte. Und wie frisch und heiter
ist dieses Bild von 1873, auf dem man vorn durch
die Wiesen eine Bauernfamilie mit ihrem Esel ziehen
sieht! Dieses Bild ist ohne Zweifel eines der
schönsten und wertvollsten Thomas, die es gibt.
Das Prunkstück unter den Ankäufen aber ist wohl
der große Arnold Bocklin »Die Kreuzabnahme«
vor der weißen Mauer, ein Bild, das durch seinen
großen Stil und die fabelhaften Farben immer einen
starken Eindruck machen wird. Sehr fein ist ein
kleineres Bild von Hans v. Marees »Rastende
Kürassiere« von ungewöhnlich reizvoller kolori-
stischer Haltung. Man würde eher auf die Skizze
eines französischen Orientmalers schließen als auf
ein Werk des großen Stilkünstlers. Ganz vorzüg-
lich in seinem grüngoldenen Ton ist ein kleiner
Albert Brendel, »Eine Sommerlandschaft«, die
vielleicht Barbizon darstellt. Nicht weniger schön
erscheint eine tieftonige »Campagna« von dem
Düsseldorfer Heinrich Ludwig (1829 — 1897),
dunkle Bäume, die um eine Lache stehen. Da-
zwischen Steine und in der Ferne Felsen. In dieses
klassische Milieu wollen sich die angekauften
Bilder von Oskar Frenzel »Kühe am Bach«
und Gustav Wendling »Botschaft von hoher See«
mit dem im Türrahmen gegen das Licht sitzenden
rotgekleideten Kerl nicht recht einfügen. Dem
Handzeichnungskabinett der National-Galerie wird
ebenfalls manches kostbare Stück zugeführt. Sehr
schöne Studien von Käthe Kollwitz, zwei zum
Bauernkrieg, zwei männliche Köpfe, »Totes Kind«
und »Schlafender Knabe«. Ein paar Farbenstift-
zeichnungen von Otto Fischer »Weißwasser« und
»Moorluch«. Ein schönes Aquarell von Theodor
Alt »Rothenburg o. T.« Ferner Handzeichnungen
und Aquarelle von Wilh. v. Kobell, Schwind,
Franz Meyerheim, Gottfried Schadow und
Thöny. Auch die Plastik in der National-Galerie
erfährt eine recht stattliche Bereicherung durch die
Neuerwerbungen und zwei sehr generöse Geschenke.
Herr Huldschinsky stiftete der Sammlung einen
kleinen bronzenen »Penseur« von Rodin, der den
Besuchern von dessen Atelier immer durch die

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