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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 20.1904-1905

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Ernst, W.: Künstler, die schreiben
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https://doi.org/10.11588/diglit.12355#0251

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KUNSTLER, DIE SCHREIBEN

Von W. Ernst

So freigebig und reich wir uns zeigen, wenn
es gilt, einen toten, soeben oder vor fünf,
zehn, fünfzig, am liebsten, vor hundert Jahren
verstorbenen Künstler zu ehren und zu feiern,
so filzig und erbärmlich arm sind wir in der
öffentlichen Anerkennung eines sicher und
ernst hervortretenden Künstlers, der noch
mit uns lebt und auch unserm Hoffen und
Leben Gestalt gibt.

Hier zeigt sich so ganz die Sentimentalität
des Deutschen und das Wesen der Senti-
mentalität überhaupt. Das ist wahrlich kein
Ruhm für das „Volk der Denker", denn
die Sentimentalität denkt nur nachträglich
und da sie uns immer zu spät eingreifen läßt,
ist sie im Grunde einer Alten gleich, die
fruchtlos ihr Dasein verbracht.

Wir erleben immer wieder dasselbe trau-
rige Schauspiel, das sich in Deutschlands
düsterem Blätterwalde abspielt:

Da ist's auf einmal überall zu lesen: „Meister
X. X. ist tot. Zu früh hat der Tod einen be-
deutsamen Künstler von uns genommen. Mit
tiefer Ergriffenheit überblicken wir sein rast-
loses Schaffen, das Zielbewußte in seinem
Werden. Welch herrliche Reihe von Werken
hat er uns hinterlassen, aber nun bleibt uns
nichts weiter übrig, als sein herbes Geschick
zu beklagen. Aeußere Ehrungen wurden dem
Künstler nie zuteil, nie hat er diese ver-
mißt, aber zweifellos dürfen wir annehmen,
daß beständige, wachsende Sorgen den Künstler
zu früh dem Tode verfallen ließen."

So etwa schreiben Hunderte von Federn
noch am Todestage des unbekannt verstor-
benen Meisters, dieselben Federn, die viel-
leicht bei seinen Lebzeiten nie über des
Künstlers Werke und Wesen eine Zeile ge-
schrieben, die gewiß nie darzustellen ver-
suchten, wie des X. X. Werk zu verstehen sei,
die aber wahrscheinlich gelegentlich des
Meisters kleinen Fehlern und mangelhaften
Aeußerlichkeiten manch böses Wort gewidmet
haben.

Oder ist es nicht so? Wer es nicht weiß
oder nicht glaubt, der gehe, wenn er wieder
einmal in allen Blättern einen Nachruf auf
einen Künstler, „den ein herbes Geschick
unbekannt sterben ließ", gelesen, seinem Ge-
dächtnis nach und suche nach Besprechungen
über des Künstlers Werk, frage sich — voraus-
gesetzt, daß er Besprechungen findet — ob denn
diese wirklich das Einfühlen, ein Verstehen-

lernenwollen des Künstlerwerkes wecken
konnten? Ob sie nicht nörgelten und auf
eine ganze Menge von Fehlern aufmerksam
machten, sonst aber schwiegen?

Doch ich höre schon längst einen Wider-
spruch. Eine vielköpfige Menge ruft mir zu:
„Es wird viel zu viel nicht nur über Kunst
geschrieben; nein, wir sind die Tiraden satt

KONSTANTIN SOMOFF BILDNIS

auf so manche Maler und Bildhauer und Kunst-
gewerbler. Wir lasen die Tiraden und Lob-
hymnen in Psalmendeutsch und im Nietzsche-
stil, aber wir wurden getäuscht, drei, vier
Jahre nur währte der Besungenen Ruhm; wir
haben unser kostbares Interesse also ver-
geudet."

Gewiß, diese Tiraden sind vom Uebel, sie
sind widerwärtig, wenn sie Tagesgrößen,
Cliquengöttern dienen und das ehrliche Lob,
das würdigen Meistern huldigt, sei so gefaßt,
daß auch der Fremde an Urteil gewinnt.

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