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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 20.1904-1905

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Bredt, Ernst Wilhelm: François Millet: sein Leben und seine Briefe
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https://doi.org/10.11588/diglit.12355#0035

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-*=4sg> FRANgOIS MILLET *<^=v-

F. A. VON KAULBACH STUDIE

nurigen einige Hundert. Wohl mancher andere
Künstler, aber kleinere Charakter, hätte sich nun
verkauft. Aber Millet wies jedes Opfer seiner Frei-
heit auch für die glänzendsten Aussichten zurück-
Je älter er wurde, um so weniger befriedigten ihn
seine Leistungen und immer ernster strebte er nach
größerer Einfachheit und Ausdrucksfähigkeit. Er
liebte es, bei seiner Arbeit zu verweilen, seine
Bilder um sich zu haben und sie wieder vornehmen
können.

Millet starb am 20. Januar 1875. >Es war ein
kalter, nebliger Tag, der Regen fiel, als man ihn
an Rousseaus Seite zur ewigen Ruhe bettete. Keine
bessere Ruhestätte konnte ihm weiden, als diese
stille Ecke an der alten Kirche, die er so oft ge-
malt, wo der Klang des ,Angelus' durch jeden
Windhauch tönt.«

Nun aber kam mit der Teilnahme, mit der seine
Witwe überschüttet wurde, die bittere Erkenntnis,
daß der Maler bei Lebzeiten nicht genügende An-
erkennung gefunden.

* *
*

Wenig war in diesen Zeilen, die dem großen
Inhalt des Cartwrightschen Buches folgen, von
Millets malerischer Technik, wenig war von seinen
vielen Bildern hier die Rede. Nicht ohne Absicht
und wohl nicht mit Unrecht, obwohl man in dem
Buche vielleicht über jedes Bild Millets eine au-
thentische Notiz finden wird. Denn nicht Das
machte Millet groß, daß er Bauern malte, sondern
daß er in der einfachsten Natur, im Leben der
einfachsten Menschen eine Größe empfand und
wiederzugeben vermochte, wie keiner vor ihm:
>On peut partir de tous les points pour arriver au
sublime, et tout est propre ä l'exprimer, si on a
une assez haute visee.« Auf einem Blatt Millets,
über dem Kopf eines Mädchens lesen wir die be-
rühmten Worte: >I1 faut pouvoir faire servir le

trivial ä l'expression du sublime. C'est lä la
vraie force.«

In Millets Bildern ist eine Religiosität, die über
allen Religionen ist. Aber wenn er der religiöseste
Maler der neuen Zeit genannt worden, nicht etwa
wegen seiner wenigen Madonnen und Heiligen,
sondern seiner Landschaften und seiner Bauernbilder
wegen, so mögen die Repräsentanten jener beiden
schädlichen Extreme künstlerischer Anschauung,
die großen Kreise der Gegenständlichkeitssucher
und die kleinen Kreise der -T'art pour Part-Gruppe«
bedenken, daß es etwas gibt, was unabhängig ist
vom Gegenstand, unabhängig auch von Malweise
und Manier, und was allein den mittelmäßigen wie
den eminentesten Maler zum großen Künstler
machen kann.

Der große Wert der Cartwrightschen Millet-Bio-
graphie liegt zum guten Teile darin, daß sie nicht
nur reichen Inhalt bringt dem Künstler und dem
Kunstforscher, sondern auch jenem bescheideneren
Kunstfreunde, der sich vielleicht dann nur für
einen Künstler und sein ganzes Wollen interessieren
kann, wenn er ihm persönlich bekannt geworden ist.

Reproduktionen Milletscher Werke hängen bereits
in großer Zahl in den Ateliers der Künstler, in den
Wohnungen der Reichen und der Geringen. Ich
möchte auch, das Cartwrightsche Buch wäre in
jedem solchen Hause zu finden. Ein Künstler und
ein Mensch spricht aus dem Buche, auf den das
19. Jahrhundert immer stolz sein darf. — Aber
vielleicht wird noch ein viel größerer Segen von
diesem Buche ausgehen: — Vielleicht eröffnet es
manchem den schönen Sinn für ein großes, mühe-
reiches Leben und den Sinn für eine starke, freie
Kunst, die uns allein mit allen Zeiten und allen
Leiden versöhnt. E w. Bredt

F. A. VON KAULBACH HEDDA

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