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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 20.1904-1905

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Lange, Konrad von: Eine sensualistische Kunstlehre
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Von Ausstellungen und Sammlungen - Denkmäler - Vermischtes
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https://doi.org/10.11588/diglit.12355#0054

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-, -:•'> EINE SENSUALISTISCHE KUNSTLEHRE «Q^*-

mindeste Interesse ist und weder durch seine Neu- Schöne, das Sympathische, das menschlich Bedeut-
heit, noch dadurch, daß er an unser Gefühl apel- same u. s. w. hervorgegangen, die nur den einen
Herr, ein Behagen hervorruft . . . Trotzdem kann Fehler haben, daß sie von keinem Künstler befolgt
das Bild bei dem Beschauer ein Lustgefühl erregen, werden. Mit derartigen verschwommenen undnebel-
ihn in einen Zustand des Genießens versetzen, und haften Erklärungen kann natürlich ein Naturforscher
zwar in umso höherem Grade, je naturgetreuer die und klarer Kopf wie Carl Lange nichts anfangen.
Abbildung ist, je vollkommener mit anderen Worten Er geht der Sache sehr viel energischer zu Leibe,
der Sinneseindruck, den das Bild hervorbringt, mit freilich so, daß man aus seiner Beweisführung die
der Wirklichkeit übereinstimmte Unzulänglichkeit jeder Erklärung, die nicht auf der

Auffallend ist nur, daß Lange trotz dieser ganz Illusion fußt, deutlich erkennt,
richtigen Erkenntnis nicht dazu gekommen ist, Er behauptet nämlich frischweg, die zuletzt er-

die ästhetische Bedeutung der Illusion richtig zu wähnten Affekte seien gar keine Unlustgefühle,
würdigen. Zwar stimmt er ganz mit mir überein, sondern Lustgefühle, oder genauer gesagt, sie er-
wenn er dem, was im hergebrachten psycholo- zeugten gar keine Unlust, sondern vielmehr Lust!
gischen Sinne Illusion heißt, nämlich der wirklichen Der Affekt an sich sei für" den 'Menschen eine
Täuschung, den ästhetischen Charakter
abspricht. Aber er hat keinen Versuch
gemacht, einen Schritt weiter zu gehen
und von dieser landläufigen Illusion
die künstlerische Illusion zu scheiden,
die gar keine wirkliche Täuschung,
sondern vielmehr eine bewußte Selbst-
täuschung, eine durchschaute Verwechs-
lung ist. Er ist sich nicht klar gewor-
den, daß wenn wir ein Gemälde von
indifferentem Inhalt dennoch, voraus-
gesetzt, daß es naturgetreu ausgeführt
ist, ästhetisch genießen können, der
ästhetische Genuß eben eine Folge
dieser Naturtreue, d. h. der Ueberein-
stimmung des Wahrnehmungsbildes
mit unserem Vorstellungsbilde von der
Natur sein muß. Daß er auf diesen
Gedanken überhaupt nicht gekommen
ist, sondern von Illusion immer nur
in dem hergebrachten Sinne einer wirk-
lichen Täuschung spricht, beweist, wie
notwendig mein Versuch war, den Be-
griff der künstlerischen Illusion durch
Analyse genau festzustellen. Wenn
also einige Kritiker der Langeschen
Schrift seine Bemerkungen über die
Illusion nicht ohne eine gewisse Scha-
denfreude gegen meine Illusionstheorie
ausgebeutet haben, so beweist das nur,
daß ihnen selbst der Unterschied zwi-
schen der landläufigen und der künst-
lerischen Illusion nicht klar geworden
ist, wie denn Lange, als er seine Be-
merkung niederschrieb, offenbar meine
schon 1895 publizierte Illusionstheorie
nicht gekannt hat. max schlichting luftschlösser

Zu den vielen durchschlagenden Croße KanstaasstMaBg Dresien 1904

Beweisen für die Wichtigkeit der
künstlerischen Illusion gehört bekannt-
lich auch der, daß die Kunst sich keineswegs Quelle der Lust, einerlei ob es sich dabei um einen
damit begnügt, Lustgefühle wie Stolz, Freude, Liebe, angenehmen oder unangenehmen Inhalt handle. Den
Kraft, Wollust u. s. w., sondern auch Unlust- Beweis für diese seltsame Behauptung bietet ihm
gefühle wie Haß, Zorn, Kummer, Sorge, Angst, die Physiologie. Man wird an die Blütezeit des
Enttäuschung, Reue, Eifersucht, Schrecken u. s. w. Materialismus, an die achtziger Jahre des vorigen
darzustellen. Ich schließe daraus, daß das, was wir Jahrhunderts (aus denen diese Bemerkungen übrigens
beim Kunstwerk genießen, gar nicht dessen Inhalt, auch stammen) erinnert, wenn man Langes Ausfüh-
sondern vielmehr die Art der Darstellung ist, ein rungen liest, die ungefähr in Folgendem gipfeln:
Schluß, der vollkommen mit der oben erkannten Jeder Affekt, und somit auch jeder Genuß, be-
Bedeutung der Naturwahrheit übereinstimmt. Die ruht auf einer Erweiterung der Blutgefäße und
herrschende Aesthetik sucht sich um diese Schwierig- einem damit zusammenhängenden vermehrten Blut-
keit dadurch herumzudrücken, daß sie diese Unlust- Umlauf. Diese Erweiterung wird bewirkt durch die
gefühle durch besondere inhaltliche Bestimmungen Muskelfasern in den Wänden der Arterien, die
einschränkt und umbiegt, indem sie behauptet, sich je nach der Einwirkung, die sie erleiden, ent-
wenn sie nur mit Maß und unter gewissen Kautelen weder strecken oder zusammenziehen können. Die
angewendet würden, könnten auch sie in der Kunst Reize, die wir mit unseren Sinnen und den übrigen
Lust erzeugen. Daraus sind dann im Laufe der Zeit peripherischen Nerven aufnehmen, werden von diesen
eine Menge inhaltlicher Bestimmungen über das zuerst zu den vasomotorischen Nervenzellen geführt,

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