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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 28.1912-1913

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Tietze, Hans: Cézanne und Hodler
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https://doi.org/10.11588/diglit.13091#0410

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II Kims...............k

III............. Mus.....i

J was die des neunzehnten erstrebt hatte. Daß von Cornelius bis Genelli bemüht hat, die in

j Cezanne der Erbe des Impressionismus ist, den englischen Präraffaeliten, in Puvis de Cha-

J ist oft genug behauptet worden, er ist sogar vannes, im Mareesschen Kreise in verschie-

0 so sehr sein Erbe, daß er ihn überwunden dener Form weiterlebten und in der klassi-
v und aufgehoben hat; er zieht den Schluß- sehen Malerei des Cinquecento nicht den An-
/ strich unter eine Richtung, die wir über die fangspunkt, sondern nur ein wichtiges Zwischen-

1 „romantische Malerei" des neunzehnten Jahr- Stadium besitzen, an diesen Aufgaben hat auch
( hunderts, über die Koloristen des achtzehnten, Hodler teil. Sie bilden die andere Hälfte zu
^ über die großen Niederländer und Spanier des jenen Tendenzen, die zuletzt im Impressio-
\ siebzehnten, über die Venezianer des Cinque- nismus lebendig geworden waren; was diesem
) cento usw. in jede beliebige Vergangenheit Ende und Selbstaufhebung war, das Ausdrücken
) zurückzuverfolgen vermögen. Ob wir das ge- eines geistigen Gehalts, ist jenen der Ausgangs-
) meinsame Problem als eine sich verfeinernde punkt, und die Umgestaltung des Naturvorbildes
) Wiedergabe eines zusammenhängenden Natur- ist nicht mehr der Anteil des Subjekts, son-

ausschnitts definieren oder als eine vom Sub- dern das Streben nach dem Wesen des Ob-
jekt ausgehende Umgestaltung des durch die jekts. Die Natur bleibt jeder künstlerischen
Wirklichkeit Gegebenen, immer ist es eine Tätigkeit zugrundeliegend; jedoch einmal im
I ganze Seite der Aufgabe der Malerei, die Spiegel einer persönlichen Interpretation ge-
I Cezanne übernimmt und verändert. Ihm ist brochen, ein andermal vertieft und erhöht.
| das Bild nicht die Addition zahlreicher be- Auch bei Hodler steht im Zentrum des
I obachteter Einzelheiten, sondern ein unteilbares Schaffens der Gedanke; er bildet die Gestal-
I Ganzes, ein einziges inneres Erlebnis, dessen ten, er umzieht sie mit der Schärfe des Um-
I Bestandteile einander gleichwertig sind; voll- risses, er bindet sie durch den Rhythmus zu-
1 zieht sich so der Uebergang von der analyti- sammen; dieses Gedankliche bringt auch um
. sehen Mühe des Impressionismus zum syn- Hodlers Welt die eisige Atmosphäre, die aller
I thetischen Schaffen der neuen Kunst, so liegt Kunst unvermeidlich ist, die nicht ihre Art
I darin gleichzeitig die Umwandlung der Gesamt- zusehen an Stelle einer geläufigen setzen will
I auffassung eingeschlossen: Das Bild, das die und sich also trotz aller anfänglichen Schwierig-
I Eindrücke nicht sammelt, sondern verschmilzt, keiten mit der Zeit doch durchsetzt, sondern
I bringt ein allerpersönlichstes zum Ausdruck, die ein Reich schafft, das mit den Maßen, die
I das — wie jede letzte Zuspitzung des Indivi- die Natur bietet, nicht gemessen werden soll.
' duellen — wieder ins Allgemein-Menschliche Aber Hodler kann nicht so völlig, wie Ce-
zurückleitet. zanne den Impressionismus in sich schließt,
Kühner ist es vielleicht, Hodlers Ahnenreihe die reine Konsequenz des Klassizismus sein,
I zurückzuverfolgen; auf den ersten Blick scheint mit dem ihn innere Bande verknüpfen, von
i ja auch er aus jener impressionistischen Malerei dem ihn aber die äußeren Bedingungen tren-
herzukommen, die sein Werden umgab und nen; er kann das Herausgewachsensein aus
seinem Wachsen Nahrung bot. Aber die Be- einer Epoche nicht leugnen, der der Gedanke
trachtung seiner Weiterentwicklung führt uns nichts galt und der gleichzeitig das Subjekt
bald aus dem zufälligen Milieu seiner zeit- die höchste Instanz war, in beiden Punkten
liehen Bedingtheit in seine wahre Heimat; das entrichtet er der Zeit seinen Zoll. Er voll-
seltsame Vorurteil, das das Geschrei der Natura- zog seiner historischen Stellung in der großen
listen gegen den Klassizismus geschaffen hat, Malerei des neunzehnten Jahrhunderts ent-
hat Weese, der Hodler eine klare Analyse ge- sprechend seine Abkehr vom Impressionis-
widmet hat, verhindert, die Richtung zu nennen, mus mit Hilfe der Wandmalerei, die Beziehung
zu der Hodler gehört, und ihn in gewundener auf die zu schmückende Fläche mußte ihm
Darstellung zu einer „peinture cerebrale" ge- den Rückhalt geben, den Naturalismus zu
langen lassen, die weniger odios schien als die überwinden; und darüber sind Stellen in sein
deutsche Gedankenmalerei. Blickt man aber Werk geraten, die hohl klingen, wo die Idee
durch den sich allmählich hebenden Nebel des die Herrschaft verloren hat und wo das bloß
Vorurteils hindurch, so erkennt man, daß der Dekorative eine parasitäre Existenz führt. Dies
Klassizismus in keinem anderen Verhältnis zu ist der wunde Punkt Hodlers, die Stelle, nach
Schelling oder Hegel steht als die neue Kunst derdieDolchederRevolutionäreunterden jungen
i zu Simmel und Boutroux; die Interpretierbar- Künstlern zielen. Außerdem aber bleibt er in den
i keit aus dem philosophischen Gehalt der Zeit engen Umkreis gebannt, der seinem persönlichen
I schließt die deutliche Arbeit an Gestaltungs- Temperament entspricht; eine stählerne Energie,
I Problemen nicht aus. An den künstlerischen eine rauhe Kraft, eine herbe Klarheit sind die
1 Aufgaben, um die sich die deutsche Kunst Züge, die Hodler in den Dingen zu finden

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