\ rum sind unsere vergangenen Genüsse in der sagte (in der oben zitierten Stelle), die Tat-
;\ Erinnerung viel stärker, als sie in Wirklich- sache bestehe nicht wirklich, da die Idee sie
J keit waren? Warum verweilt unser Sinnen so malt und idealisiert und ihr dadurch ein zweites
h gern an Orten, die wir nicht wiedersehen werden, Leben verleiht." Stellen wie diese rufen un-
3 wo unsere Seele Glück empfand? Warum — willkürlich die Erinnerung an das schöne Selbst-
5 wie grausam und traurig zeigst du dich, Natur, bildnis des alternden Delacroix in der Samrn-
y in dieser mächtigen Gabe! — Warum verschönt lung Mesdag im Haag herauf: die menschliche
i die Erinnerung unsere Freunde, wenn wir sie wie die künstlerische Blickweite spiegelt sich
■j verloren haben? Weil im Denken, das sich hier wie dort mit dergleichen gedämpften Trauer
J der Regungen des Herzens erinnert, dasselbe einer vertieften Erkenntnis.
D vorgeht, wie wenn sich die schöpferische Kraft Die Aufsätze umspannen fast dieselbe Zeit
J seiner bemächtigt, um die wirkliche Welt zu wie die Tagebücher. Der erste ist datiert vom
h beleben und daraus Geschöpfe der Phantasie Mai 1829; die letzten Aufzeichnungen stam-
5 Zugewinnen. Dann „komponiert" das Denken, men aus den sechziger Jahren. So geben auch
/ das heißt, es wählt und veredelt. Man kann sie ein Entwicklungsbild, zeigen in Stücken,
^ nicht denken, ohne zu veredeln. Dafür sind wie dem Essay über die Kunstkritiken oder
( schon unsere Vorurteile da. Die meinen zum in dem Brief über den Wettbewerb den vehe-
'i Beispiel unterscheiden sich in allem von denen menten Elan des Jünglings, der den Schlacht-
J meines Nachbarn. Worin bestehen sie? In ruf prägte: „Vive Rubens toujours et l'amitie!"
) meiner Art das Ding, das ich sehe, zu ideali- — lassen den Selbstbesitz des Mannes in dem
5 sieren, das heißt, es in meiner Art zu kom- beherrschten Aufsatz über Prudhon wider-
) ponieren. Das meinte ich, wenn ich anfangs klingen, um zuletzt die resignierende Melan-
ADOLFO WILDT DER HEILIGE, DER JÜNGLING UND DER WEISE (MARMOR) 5
Münchner Glaspalast 1913 l
574
;\ Erinnerung viel stärker, als sie in Wirklich- sache bestehe nicht wirklich, da die Idee sie
J keit waren? Warum verweilt unser Sinnen so malt und idealisiert und ihr dadurch ein zweites
h gern an Orten, die wir nicht wiedersehen werden, Leben verleiht." Stellen wie diese rufen un-
3 wo unsere Seele Glück empfand? Warum — willkürlich die Erinnerung an das schöne Selbst-
5 wie grausam und traurig zeigst du dich, Natur, bildnis des alternden Delacroix in der Samrn-
y in dieser mächtigen Gabe! — Warum verschönt lung Mesdag im Haag herauf: die menschliche
i die Erinnerung unsere Freunde, wenn wir sie wie die künstlerische Blickweite spiegelt sich
■j verloren haben? Weil im Denken, das sich hier wie dort mit dergleichen gedämpften Trauer
J der Regungen des Herzens erinnert, dasselbe einer vertieften Erkenntnis.
D vorgeht, wie wenn sich die schöpferische Kraft Die Aufsätze umspannen fast dieselbe Zeit
J seiner bemächtigt, um die wirkliche Welt zu wie die Tagebücher. Der erste ist datiert vom
h beleben und daraus Geschöpfe der Phantasie Mai 1829; die letzten Aufzeichnungen stam-
5 Zugewinnen. Dann „komponiert" das Denken, men aus den sechziger Jahren. So geben auch
/ das heißt, es wählt und veredelt. Man kann sie ein Entwicklungsbild, zeigen in Stücken,
^ nicht denken, ohne zu veredeln. Dafür sind wie dem Essay über die Kunstkritiken oder
( schon unsere Vorurteile da. Die meinen zum in dem Brief über den Wettbewerb den vehe-
'i Beispiel unterscheiden sich in allem von denen menten Elan des Jünglings, der den Schlacht-
J meines Nachbarn. Worin bestehen sie? In ruf prägte: „Vive Rubens toujours et l'amitie!"
) meiner Art das Ding, das ich sehe, zu ideali- — lassen den Selbstbesitz des Mannes in dem
5 sieren, das heißt, es in meiner Art zu kom- beherrschten Aufsatz über Prudhon wider-
) ponieren. Das meinte ich, wenn ich anfangs klingen, um zuletzt die resignierende Melan-
ADOLFO WILDT DER HEILIGE, DER JÜNGLING UND DER WEISE (MARMOR) 5
Münchner Glaspalast 1913 l
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