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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 43.1927-1928

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Duve, Helmuth: Carl Milles
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https://doi.org/10.11588/diglit.16477#0027

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CARL MILLES

Unter den lebenden Vertretern der bildenden
Kunst Schwedens ist der Bildhauer Carl Milles
der bedeutendste. Er wurde am 23. Juni 1875
auf dem Gut Orby bei Uppsala geboren als
Sohn eines Soldaten. In seiner Jugend war er'
ein Träumer, letzten Endes eine Suchernatur,
leidend unter dem Druck der Schule und des
Elternhauses, unglücklich und vereinsamt.
Schon früh war seine plastische Begabung offen-
kundig; dennalsSchülerfertigte er kleine Skulp-
turen aus Holz, die er für zehn bis fünfzehn
Ore verkaufte. Bei einem Möbeltischler kam er in
die Lehre. Von seinem Beruf wenig befriedigt,
besuchte er die Technische Schule in Stockholm
und ergriff 1900 freudigen Herzens die Gelegen-
heit, seine Ausbildung in Paris zu vollenden,
als ihm der Schwedische Handfertigkeitsbund
ein Stipendium zur Verfügung stellte. Für die
„Lauschern!" (1900), einen lebensgroßen
Frauenakt, hatte er die silberne Medaille erhal-
ten. Bald darauf schuf er in Paris die Skulp-
turen „Muttersorge" und „Kampf ums Dasein",
die wegen ihrer sozialen Tendenz berechtigtes
Aufsehen erregten. Weil aber die Reisekasse
bald erschöpft war, verdiente er durch Tischler-
arbeiten sich den nötigen Unterhalt; nebenbei
modellierte er. Erst ganz allmählich kam er zu
sich selbst und erkannte seine Berufung als
Künstler. Er versuchte seine technischen Fähig-
keiten in der Academie Colarossi zu vervoll-
kommnen und seine bildhauerische Veran-
lagung zu fördern, sah aber nach einigen
Wochen bereits ein, daß hier nicht der richtige
Ort dazu war, verließ diese Ausbildungsstätle
und studierte auf eigene Faust in Museen und
Ausstellungen weiter.

Trotz all seiner Studien blieb Milles Autodidakt.
Besonders gefielen ihm die eleganten Werke
von Denis Puech, und sehr schwer hat er sich
von dieser Einwirkung freizumachen gesucht.
Starke Eindrücke empfing er auch aus den
Fresken von Puvis de Chavannes sowie von den
Steinzeildarslelfungen Pormons und den
schmächtig sentimentalen Frauengestalten des
PrärafFaelilen Burne Jones.
In diese Zeil rastlosen Studiums fällt der erste
preisgekrönte Entwurf des Sten-Slure-Monu-
mentes. Freilich ist das Denkmal bis zu seiner

Fertigstellung (1925) vom Künstler, der mit
dem Ergebnis jeweils unzufrieden war, viermal
umgearbeitet worden, ein Zeichen für seine
starke Selbstkritik. Als Milles igoi Paris ver-
ließ, hatte er einige prächtige Tiergruppen
fertiggestellt, deren Motive er dem dortigen
Zoologischen Garten entnommen halle, wobei
ihm die Tierskulpturen Barryes vorbildlich ge-
wesen sind. Auch stand er eine Zeitlang unter
dem Einfluß von Rodins Kunst und entnahm
ihr die impressionistischen Wirkungsmöglich-
keiten, nicht aber den expressiven Ausdrucks-
gehalt. Auch in späteren Jahren wirkt dieser
Einfluß nach, besonders in den Arbeiten „Him-
mel und Hölle" (Kandelaberreliefs), „Kain
und Abel", die um die Jahrhundertwende in
Paris entstanden, sowie in der Komposition
eines auf der Bank schlummernden Liebes-
paares „A la belle eloile".

Inzwischen hatte sich die gefällige, süßlich sen-
timentale Auffassung des Künstlers zu einer
ausdrucksvollen und formentwickelten gewan-
delt. 1903 wurde ihm der Auftrag zuteil, auf
dem Dach des Königlich Dramatischen Thealers
zu Stockholm die schönen Künste plastisch
darzustellen und dessen Pfeiler durch Reliefs
mit spielenden Kindern zu schmücken. Außer-
dem beslellle man ein Jahr später bei ihm eine
Monumentalfigur von Gustav Vasa, dem Be-
gründer des schwedischen Reiches, die für das
Nordiska Museet bestimmt war und die, wie die
meisten seiner Statuen, verschiedentlich ver-
ändert, erst in den letzten Jahren fertig gewor-
den ist. Bald nach seiner Verheiratung 1905
erkrankte er für länger als ein Jahr; doch sein
starker Gestaltungswille überwand auch das ur-
sprünglich zarte Gefühl und die körperlichen
Schwächen. Wie neugeboren stürzte er sich auf
die Arbeit, die ihm dadurch erleichtert wurde,
daß Freunde ihm bei seiner Rückkehr nach
Schweden zur Verwirklichung seines Lieblings-
wunsches verhalfen; im Jahre 1908 wurde der
Grundslein zum Bau seines Y\ ohnhauses auf
Lindingö bei Stockholm gelegt. Seine Arbeits-
weise war impulsiver denn je zuvor, mochten
auch Zeiten völliger Ermüdung den Schaffens-
rausch unterbrechen. Skizze und Konzeption
verschmolzen während des Zusammenwirkens

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