KARL ALBIKER. FRAUEN BILDNIS
Berliner Secession
gar töten, denn die Kunst ist so groß und schwer,
und wir mögen und wollen sie lieber mit großen
Ehren in das Lob Gottes wenden; denn in gleicher
\Yeise,wiesiedieschönsteGestalteinesMenschen
ihrem Abgotte Apollo zugemessen haben, also
wollen wir dieselben Maße brauchen zu Christo
dem Herren, der der schönste aller Welt ist;
und wie sie Venus als das schönste \\ eib gebil-
det haben, also wollen wir dieselbe zierliche Ge-
stalt in keuscher Weise beilegen der allerreinslen
Jungfrau Maria, der Mutter Gottes; und aus dem
Herkules wollen wir den Samson machen; des-
gleichen wollen wir mit den anderen allen tun."
(Aus dem 1876 erschienenen Dürer-Werk von Moritz Thausing)
GEDANKEN ÜBER KUNST
Normalmesser für Kunstwerke gibt es bekannt-
lich nicht. Aber Grundnormen für die richtige
Einstellung zur Kunst können wir den Lehren
der Kunstgeschichte entnehmen und damit den
beiden gröbsten Irrtümern bei der Bewertung
entgehen — sie kehren in immer neuen Ver-
kleidungen wieder: auf der einen Seite „die platte
Auffassung des Kunstwerkes als Xaturnachah-
mung, Genuß und Bewertung nach der Richtig-
keit und Uberzeugungskraft der Abbildung, ja
nach dem Wert des Abgebildeten; auf der andern
Seite die formalistische Betrachtung, die in den
Kunstwerken nur abstrakte Gebilde von Linien,
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Berliner Secession
gar töten, denn die Kunst ist so groß und schwer,
und wir mögen und wollen sie lieber mit großen
Ehren in das Lob Gottes wenden; denn in gleicher
\Yeise,wiesiedieschönsteGestalteinesMenschen
ihrem Abgotte Apollo zugemessen haben, also
wollen wir dieselben Maße brauchen zu Christo
dem Herren, der der schönste aller Welt ist;
und wie sie Venus als das schönste \\ eib gebil-
det haben, also wollen wir dieselbe zierliche Ge-
stalt in keuscher Weise beilegen der allerreinslen
Jungfrau Maria, der Mutter Gottes; und aus dem
Herkules wollen wir den Samson machen; des-
gleichen wollen wir mit den anderen allen tun."
(Aus dem 1876 erschienenen Dürer-Werk von Moritz Thausing)
GEDANKEN ÜBER KUNST
Normalmesser für Kunstwerke gibt es bekannt-
lich nicht. Aber Grundnormen für die richtige
Einstellung zur Kunst können wir den Lehren
der Kunstgeschichte entnehmen und damit den
beiden gröbsten Irrtümern bei der Bewertung
entgehen — sie kehren in immer neuen Ver-
kleidungen wieder: auf der einen Seite „die platte
Auffassung des Kunstwerkes als Xaturnachah-
mung, Genuß und Bewertung nach der Richtig-
keit und Uberzeugungskraft der Abbildung, ja
nach dem Wert des Abgebildeten; auf der andern
Seite die formalistische Betrachtung, die in den
Kunstwerken nur abstrakte Gebilde von Linien,
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