HERBSTAUSSTELLUNG DER AKADEMIE, BERLIN
Wie alle Jahre, so ist auch die diesjährige Aus-
stellung Schwarzweißkunst, Pastellen, Aqua-
rellen und Plastiken gewidmet.
Das Ergebnis bleibt immer ein wenig erfreu-
licher wie bei den Gemälde-Ausstellungen des
Frühjahrs. Das Schwergewicht der graphischen
Künste hat sich langsam nach Deutschland
verschoben. Fast scheint es, als sollte die Füh-
rung, so wie es einst bereits im 15. Jahrhundert
war, wieder in unsere Hände übergehen.
Im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen drei
Kollektiv-Ausstellungen. Käthe Kollwitz, die in
diesem Jahre ihren 60. Geburtstag feierte, gehört
der Mittelsaal. Alfred Kubin zeigt 22 graphi-
sche Blätter und der Plastiker Fritz Koelle eine
größere Anzahl von Skulpturen.
Käthe Kollwitz ist das erste weibliche Mitglied
der Akademie. Es ist viel über sie gesagt wor-
den und es wäre falsch, ihr an dieser Stelle mit
ein paar hingeworfenen Worten zu nahe zu
treten. Betroffen steht man vor dem starken
Ausdruck einer Persönlichkeit, die die seltene
Einheit von Wesen und Wirken verkörpert.
Den Weg ihres menschlichen und künstlerischen
Schicksals verkünden ihre beiden Selbstbildnisse
von 1889 und 1924. Wenn man bei dem Jugend-
bildnis von einer „inneren Schönheit" sprechen
kann, so zeigt die Lithographie der 57 jährigen
einen Ausdruck von vergeistigter körperlicher
Schönheit, bei dem man erkennt, daß hier der
Geist sich den Körper gebildet hat.
Auch über Kubin ist viel geschrieben worden.
In diesem hervorragenden illustrativen Künstler
unsrer Tage steckt ein gutes Stück alter deut-
scher Tradition, die bis auf die Maler der Donau-
schule zurückgehl. Sein eigener skurriler Stil
ist der adäcpiate Ausdruck für die geheimnisvolle
Phantastik seiner Yorstellungswelt.
Der Münchner Plastiker Fritz Koelle beweist mit
seinen 12 Bronzen eine bemerkenswerte neue
Kraft. In den Köpfen seiner Arbeiten ist man-
ches erreicht, wonach Meunier vergeblich ge-
strebt hat. Vor allem sind sie frei von jener
Sentimentalität, die die Arbeiten des Franzosen
beeinträchtigte. Hier steht ein vitaler Mensch
von volkstümlicher Bindung. Seine Köpfe sind
tief modelliert und -die rissigen ausgehöhlten
Gesichter seiner Bergarbeiter scheinen, zuweilen
spannunggeladen, flackernd, zuweilen hilflos
maskenhaft, um das Schicksal unserer Zeit zu
wissen.
Zu den stärksten Eindrücken der Ausstellung
gehören weiterhin die Rohrfederzeichnungen
von Pechstein. Bei ihrer instinktmäßigen Sicher-
heit, bei ihrem strengen Willen zum Aufbau
erinnern sie nur äußerlich an van Gogh, mit
dessen manisch ekstatischerWelt ihre naive Ge-
sundheit nichts zu tun hat. Von einem jungen
Mannheimer Künstler Xaver Fuhr sieht man
mit Interesse vier Aquarelle mit scheinbar in-
fantilem Strich und sparsamen Lokalfarben und
viel Anmut. Max Neumann beweist mit zwei
venezianischen Aquarellen, daß ein künstleri-
sches Auge auch dem mißbrauchtesten Gegen-
stand neue Seiten abgewinnen kann. Zeichnun-
gen von ungewöhnlicher Grazie und Zärtlich-
keit schuf Hans Meid als Illustration zu einer
Anzahl von Kinderliedern. Rudolf Jacobi stellt
schöne liefe und dunkle Aquarelle von Pariser
Straßen aus. George Groß ist ganz auf akade-
mische Geleise geraten. Seine Temperabilder
wirken leer. Anscheinend liegt seine Bedeutung
ausschließlich in der Illustration. Daß ein guter
Illustrator mehr bedeutet als ein mittelmäßiger
Maler, zeigt die Wienerin Anny Schröder mit
ein paar ausgezeichneten kleinen Holzschnitten.
Zu den schönsten farbigen Blättern def Aus-
stellung gehören Heinrich Nauens Tempera-
bilder vom Mittelmeer. Sie sind von einer Reife
der Farbe, von einer ausgeglichenen schweben-
den Sicherheit der Stufung und von einer
Leuchtkraft, wie man dies selten erblickt.
Unter den Plastikern tritt diesmal neben Kolbe
mit seinem klugen und kühlen Friedländer-
kopf vor allem Kurl Edzard hervor. Die beiden
Köpfe seiner Brüder straff gespannt, verraten
den Geist und die Flaltung zweier Menschen-
schicksale.Ernesto deFiorihatdenBoxerSchmel-
lingin einerkleinen federnden und leichten Stein-
plastik festgehalten. Rene Sintenis hat einen
kleinen Bronze-Esel von der Größe eines Hun-
des ausgestellt, dessen rührende Verlassenheit,
dessen verschüchLerte Frömmigkeit, dessen Ver-
einigung von Gehorsam und Widerspenstigkeit
man zärtlich und beglückt betrachtet.
Bruno E. "Werner
181
Wie alle Jahre, so ist auch die diesjährige Aus-
stellung Schwarzweißkunst, Pastellen, Aqua-
rellen und Plastiken gewidmet.
Das Ergebnis bleibt immer ein wenig erfreu-
licher wie bei den Gemälde-Ausstellungen des
Frühjahrs. Das Schwergewicht der graphischen
Künste hat sich langsam nach Deutschland
verschoben. Fast scheint es, als sollte die Füh-
rung, so wie es einst bereits im 15. Jahrhundert
war, wieder in unsere Hände übergehen.
Im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen drei
Kollektiv-Ausstellungen. Käthe Kollwitz, die in
diesem Jahre ihren 60. Geburtstag feierte, gehört
der Mittelsaal. Alfred Kubin zeigt 22 graphi-
sche Blätter und der Plastiker Fritz Koelle eine
größere Anzahl von Skulpturen.
Käthe Kollwitz ist das erste weibliche Mitglied
der Akademie. Es ist viel über sie gesagt wor-
den und es wäre falsch, ihr an dieser Stelle mit
ein paar hingeworfenen Worten zu nahe zu
treten. Betroffen steht man vor dem starken
Ausdruck einer Persönlichkeit, die die seltene
Einheit von Wesen und Wirken verkörpert.
Den Weg ihres menschlichen und künstlerischen
Schicksals verkünden ihre beiden Selbstbildnisse
von 1889 und 1924. Wenn man bei dem Jugend-
bildnis von einer „inneren Schönheit" sprechen
kann, so zeigt die Lithographie der 57 jährigen
einen Ausdruck von vergeistigter körperlicher
Schönheit, bei dem man erkennt, daß hier der
Geist sich den Körper gebildet hat.
Auch über Kubin ist viel geschrieben worden.
In diesem hervorragenden illustrativen Künstler
unsrer Tage steckt ein gutes Stück alter deut-
scher Tradition, die bis auf die Maler der Donau-
schule zurückgehl. Sein eigener skurriler Stil
ist der adäcpiate Ausdruck für die geheimnisvolle
Phantastik seiner Yorstellungswelt.
Der Münchner Plastiker Fritz Koelle beweist mit
seinen 12 Bronzen eine bemerkenswerte neue
Kraft. In den Köpfen seiner Arbeiten ist man-
ches erreicht, wonach Meunier vergeblich ge-
strebt hat. Vor allem sind sie frei von jener
Sentimentalität, die die Arbeiten des Franzosen
beeinträchtigte. Hier steht ein vitaler Mensch
von volkstümlicher Bindung. Seine Köpfe sind
tief modelliert und -die rissigen ausgehöhlten
Gesichter seiner Bergarbeiter scheinen, zuweilen
spannunggeladen, flackernd, zuweilen hilflos
maskenhaft, um das Schicksal unserer Zeit zu
wissen.
Zu den stärksten Eindrücken der Ausstellung
gehören weiterhin die Rohrfederzeichnungen
von Pechstein. Bei ihrer instinktmäßigen Sicher-
heit, bei ihrem strengen Willen zum Aufbau
erinnern sie nur äußerlich an van Gogh, mit
dessen manisch ekstatischerWelt ihre naive Ge-
sundheit nichts zu tun hat. Von einem jungen
Mannheimer Künstler Xaver Fuhr sieht man
mit Interesse vier Aquarelle mit scheinbar in-
fantilem Strich und sparsamen Lokalfarben und
viel Anmut. Max Neumann beweist mit zwei
venezianischen Aquarellen, daß ein künstleri-
sches Auge auch dem mißbrauchtesten Gegen-
stand neue Seiten abgewinnen kann. Zeichnun-
gen von ungewöhnlicher Grazie und Zärtlich-
keit schuf Hans Meid als Illustration zu einer
Anzahl von Kinderliedern. Rudolf Jacobi stellt
schöne liefe und dunkle Aquarelle von Pariser
Straßen aus. George Groß ist ganz auf akade-
mische Geleise geraten. Seine Temperabilder
wirken leer. Anscheinend liegt seine Bedeutung
ausschließlich in der Illustration. Daß ein guter
Illustrator mehr bedeutet als ein mittelmäßiger
Maler, zeigt die Wienerin Anny Schröder mit
ein paar ausgezeichneten kleinen Holzschnitten.
Zu den schönsten farbigen Blättern def Aus-
stellung gehören Heinrich Nauens Tempera-
bilder vom Mittelmeer. Sie sind von einer Reife
der Farbe, von einer ausgeglichenen schweben-
den Sicherheit der Stufung und von einer
Leuchtkraft, wie man dies selten erblickt.
Unter den Plastikern tritt diesmal neben Kolbe
mit seinem klugen und kühlen Friedländer-
kopf vor allem Kurl Edzard hervor. Die beiden
Köpfe seiner Brüder straff gespannt, verraten
den Geist und die Flaltung zweier Menschen-
schicksale.Ernesto deFiorihatdenBoxerSchmel-
lingin einerkleinen federnden und leichten Stein-
plastik festgehalten. Rene Sintenis hat einen
kleinen Bronze-Esel von der Größe eines Hun-
des ausgestellt, dessen rührende Verlassenheit,
dessen verschüchLerte Frömmigkeit, dessen Ver-
einigung von Gehorsam und Widerspenstigkeit
man zärtlich und beglückt betrachtet.
Bruno E. "Werner
181