NEUE KUNSTLITERATUR
Franz Drey, Carlo Crivelli und seine
Schule. München 1927. Verlag F. Bruckmann
A.-G.
Es ist erstaunlich, daß die fast überproduktive
deutsche Kunstliteratur bisher über den vene-
tianischen Quattrocentisten Carlo Crivelli kein
zusammenfassendes, gründliches Werk hervor-
brachte, obwohl der Meister nicht nur außer-
ordentlich geschätzt ist, sondern in seinem künst-
lerischen Wesen auch dem Empfinden un-
serer Zeit, ihren künstlerischen Neigungen, ihrer
Vorliebe für eine gewisse zierlich-graziöse Zer-
brechlichkeit entgegenkommt. Berenson hat Cri-
velli glücklich mit den japanischen Zeichnern
von Satsumas Art und mit den französischen
Elfenbeinschnitzern des 14. Jahrhunderts vergli-
chen, Drey fühlt sich durch ihn an Michael Pacher
und an den Meisler E. S. gemahnt, auch an Botti-
celli und den jungen Gian Bellini mag man den-
ken. Ganz gewiß kommt unter solchen günsti-
gen Auspizien der Stimmung und der biblio-
graphischen Situation die erschöpfende, sehr
gründlich undumsichtiggearbeitete Monographie
des Münchner Gelehrten einem Bedürfnis ent-
gegen : nicht Buchmacherei oder eine Spezial-
liebhaberei war hier am Werk, sondern strenge
Wissenschaftlichkeit und die gerechte Absicht,
einem Künstler von hohem Bang die Stellung
in der Entwicklungsgeschichte der italienischen
Malerei einzuräumen, die ihm zusteht. Seit G.
McNeil Bushforths Crivelli-Buch erschien, sind
siebenundzwanzig Jahre vergangen, wichtigste
Jahre kunsthistorischer Forschung und Erkennt-
nisse, und so ist es an der Zeit gewesen, die
neuen Ergebnisse wissenschaftlichen Forschens
(zumal in der Squarcione-Frage, die für Crivellis
Herkunft entscheidend ist) zu einem systemati-
schen Werk zu verarbeiten. Die Biographie ist
aus den wenigen erhaltenen Dokumenten vor-
sichtigaufgebaut ; besonders Crivellis Kunsttätig-
keit in Ascoli und anderwärts in den Marken
findet eine entsprechende Beleuchtung. Den
Zeit- und Schuleinflüssen, denen ein besonderer
Exkurs gilt, schließt Drey die Darstellung der
Entwicklung Crivellis an, die in die über vier
Jahrzehnte hin reichende Tätigkeit des Meisters
eine überzeugende Periodisierung bringt. Schü-
lern und Nachfolgern, besonders Vittorio Crivelli
und dem Meister der Straßburger Anbetung, gilt
ein weiteres Kapitel des Buches, das sodann im
Anhang alle dokumentarischen Aufzeichnungen
über Crivelli und ein außerordentlich schätzens-
wertes Verzeichnis aller erhaltenen Gemälde des
Meisters in genauen Beschreibungen gibt. Er-
staunlich ist die Tatsache, daß vor allem die
Sammlerwelt Amerikas sich einer großen Reihe
der besten Werke Crivellis zu versichern wußte.
Von europäischen Galerien nennen die National-
galerie in London, die vatikanische Pinakothek
in Rom und die Brera in Mailand Hauptwerke
Crivellis ihr eigen. — Wie das Werk im ganzen
sich durch ausgezeichneten Druck und gediegene
Ausstattung empfiehlt, so tut dies im besonderen
der Abbildungsteil, der auf 109 ausgezeichnet
gedruckten Tafeln Crivellis gesamtes Werk und
das Wichtigste sein er Nachfolger zur Anschauung
bringt und damit die Notwendigkeit dieser vor-
bildlichen Würdigung des großen Malers erneut
dokumentiert. Wolf
Ein Böcklin-Volksbuch. Zur 100.Wieder-
kehr von Böcklins Geburtstag hat der Verleger der
Böcklin werke F. Bruckmann A.-G. in München,
ein sehr reizvolles Jubiläumsbändchen erscheinen
lassen, das berufen ist, denA ielen, die die teuren
Werke nicht erwerben können, das Wesen und
die Größe von Böcklins Kunst zu künden. Georg
Jacob Wolf, der sich an dieser Stelle gelegentlich
der Basler Böcklin-Ausstellung und dann in einem
Jubiläumsaufsatz über Böcklin ausgesprochen hat,
ist der Verfasser dieses Bändchens. Knapp und
klar in seinen textlichen Ausführungen und aus-
gezeichnet in der Auswahl der Abbildungen, hat
der Verfasser die gestellte Aufgabe, ein wirkliches
Volksbuch zu geben, aufs allerbeste gelöst. Be-
sonders rühmen möchte ich bei der Auswahl der
Abbildungen, daß sie, weit über den allgemein
bekannten Böcklin hinaus, die notwendige Vor-
stellung des ungeheuren Beichtums seines künst-
lerischen Werkes aufzeigt, indem in dem Abbil-
dungsteile alle, auch die weniger bekannten Sei-
ten der Böcklinschen Kunst ihrer Bedeutung ent-
sprechend zu Worte kommen. Das sehr hübsch
ausgestattete Bändchen mit seinen ausgezeich-
neten 40ganzseitigen Tafeln hat heute, da Böcklin
durch die Basler und jetzige Berliner Ausstellung
dem deutschen Volke erneut geschenkt wird, eine
Mission in den weitesten Kreisen zu erfüllen. Der
Preis des Bändchens ist M. 2.50. R.
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Franz Drey, Carlo Crivelli und seine
Schule. München 1927. Verlag F. Bruckmann
A.-G.
Es ist erstaunlich, daß die fast überproduktive
deutsche Kunstliteratur bisher über den vene-
tianischen Quattrocentisten Carlo Crivelli kein
zusammenfassendes, gründliches Werk hervor-
brachte, obwohl der Meister nicht nur außer-
ordentlich geschätzt ist, sondern in seinem künst-
lerischen Wesen auch dem Empfinden un-
serer Zeit, ihren künstlerischen Neigungen, ihrer
Vorliebe für eine gewisse zierlich-graziöse Zer-
brechlichkeit entgegenkommt. Berenson hat Cri-
velli glücklich mit den japanischen Zeichnern
von Satsumas Art und mit den französischen
Elfenbeinschnitzern des 14. Jahrhunderts vergli-
chen, Drey fühlt sich durch ihn an Michael Pacher
und an den Meisler E. S. gemahnt, auch an Botti-
celli und den jungen Gian Bellini mag man den-
ken. Ganz gewiß kommt unter solchen günsti-
gen Auspizien der Stimmung und der biblio-
graphischen Situation die erschöpfende, sehr
gründlich undumsichtiggearbeitete Monographie
des Münchner Gelehrten einem Bedürfnis ent-
gegen : nicht Buchmacherei oder eine Spezial-
liebhaberei war hier am Werk, sondern strenge
Wissenschaftlichkeit und die gerechte Absicht,
einem Künstler von hohem Bang die Stellung
in der Entwicklungsgeschichte der italienischen
Malerei einzuräumen, die ihm zusteht. Seit G.
McNeil Bushforths Crivelli-Buch erschien, sind
siebenundzwanzig Jahre vergangen, wichtigste
Jahre kunsthistorischer Forschung und Erkennt-
nisse, und so ist es an der Zeit gewesen, die
neuen Ergebnisse wissenschaftlichen Forschens
(zumal in der Squarcione-Frage, die für Crivellis
Herkunft entscheidend ist) zu einem systemati-
schen Werk zu verarbeiten. Die Biographie ist
aus den wenigen erhaltenen Dokumenten vor-
sichtigaufgebaut ; besonders Crivellis Kunsttätig-
keit in Ascoli und anderwärts in den Marken
findet eine entsprechende Beleuchtung. Den
Zeit- und Schuleinflüssen, denen ein besonderer
Exkurs gilt, schließt Drey die Darstellung der
Entwicklung Crivellis an, die in die über vier
Jahrzehnte hin reichende Tätigkeit des Meisters
eine überzeugende Periodisierung bringt. Schü-
lern und Nachfolgern, besonders Vittorio Crivelli
und dem Meister der Straßburger Anbetung, gilt
ein weiteres Kapitel des Buches, das sodann im
Anhang alle dokumentarischen Aufzeichnungen
über Crivelli und ein außerordentlich schätzens-
wertes Verzeichnis aller erhaltenen Gemälde des
Meisters in genauen Beschreibungen gibt. Er-
staunlich ist die Tatsache, daß vor allem die
Sammlerwelt Amerikas sich einer großen Reihe
der besten Werke Crivellis zu versichern wußte.
Von europäischen Galerien nennen die National-
galerie in London, die vatikanische Pinakothek
in Rom und die Brera in Mailand Hauptwerke
Crivellis ihr eigen. — Wie das Werk im ganzen
sich durch ausgezeichneten Druck und gediegene
Ausstattung empfiehlt, so tut dies im besonderen
der Abbildungsteil, der auf 109 ausgezeichnet
gedruckten Tafeln Crivellis gesamtes Werk und
das Wichtigste sein er Nachfolger zur Anschauung
bringt und damit die Notwendigkeit dieser vor-
bildlichen Würdigung des großen Malers erneut
dokumentiert. Wolf
Ein Böcklin-Volksbuch. Zur 100.Wieder-
kehr von Böcklins Geburtstag hat der Verleger der
Böcklin werke F. Bruckmann A.-G. in München,
ein sehr reizvolles Jubiläumsbändchen erscheinen
lassen, das berufen ist, denA ielen, die die teuren
Werke nicht erwerben können, das Wesen und
die Größe von Böcklins Kunst zu künden. Georg
Jacob Wolf, der sich an dieser Stelle gelegentlich
der Basler Böcklin-Ausstellung und dann in einem
Jubiläumsaufsatz über Böcklin ausgesprochen hat,
ist der Verfasser dieses Bändchens. Knapp und
klar in seinen textlichen Ausführungen und aus-
gezeichnet in der Auswahl der Abbildungen, hat
der Verfasser die gestellte Aufgabe, ein wirkliches
Volksbuch zu geben, aufs allerbeste gelöst. Be-
sonders rühmen möchte ich bei der Auswahl der
Abbildungen, daß sie, weit über den allgemein
bekannten Böcklin hinaus, die notwendige Vor-
stellung des ungeheuren Beichtums seines künst-
lerischen Werkes aufzeigt, indem in dem Abbil-
dungsteile alle, auch die weniger bekannten Sei-
ten der Böcklinschen Kunst ihrer Bedeutung ent-
sprechend zu Worte kommen. Das sehr hübsch
ausgestattete Bändchen mit seinen ausgezeich-
neten 40ganzseitigen Tafeln hat heute, da Böcklin
durch die Basler und jetzige Berliner Ausstellung
dem deutschen Volke erneut geschenkt wird, eine
Mission in den weitesten Kreisen zu erfüllen. Der
Preis des Bändchens ist M. 2.50. R.
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