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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 43.1927-1928

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Cornelius, Peter von: Ein Brief des Peter von Cornelius an Josef Görres
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https://doi.org/10.11588/diglit.16477#0137

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EIN BRIEF DES PETER VON CORNELIUS AN JOSEF GÖRRES

Rom, 3. November i8i4
... Verzeihen Sie daher, wenn ich, von gleichem
Glanben beseel t,meinHerz Ihnen aufschließe und
Ihnen einige Worte über einen Gegenstand sage,
der es so ganz erfüllt: ich meine die Kunst und
zwar die unseres Vaterlandes. Leider muß man
von derselben sagen, daß sie in der gegenwärti-
gen Zeit sowohl an wahrer Bildung als an Geist
und Leben von den Italienern überflügelt wor-
den, denn der Geringste von deren Helden, die
freiwillig mitzogen in jenen wahrhaften Kreuz-
zug, trug, wenn ich's so nennen darf, eine höhere
Poesie in seiner Brust als die ersten Professoren
irgendeiner hoch weisen Akademie, vorn Dunst-
kreise ihrer negativen eklektischen Kunslrum-
pelkammer umnebelt. Dieses aber scheint mir
das schwerste Wort des Gerichts über jedes
geistige Streben der Welt und vorzüglich der
Kunst zu sein, denn sie soll ein Teil des Salzes
der Erde sein. Ist solches aber dumm geworden,
so taugt's fürder zu nichts, als daß es auf die
Gassen geworfen, von den Leuten zertreten
werde. Nun werden Sie es aber für eine höchst
wünschenswerte trelFliche Sache halten, wenn
die Kunst in unserm Vaterlande in ihrer alten
Kraft, Schönheit und Einfalt erwachte und mit
dem wiedergeborenen Geist der Nation gleichen
Schritt hielte, ihrer kräftigen, aber dunklen
Sehnsucht nach oben still, klar und liebend ent-
gegenkäme, keine Kraft brechend, aber jede
ordnend, lenkend zum höchsten Einen, als die
Aufgabe alles wahrhaft Bildenden, so wie es die
wahre Kunst zu allen Zeiten unter allen edleren
Vätern auch getan. Unser Vaterland steht auf
einem Punkt, wo es einer solchen Kunst nicht
entbehren sollte; sie könnte ein mächtiges Or-
gan zu manchem Trefflichen sein! Daß aber
solche wieder gleich einem Phönix aus ihrer
Asche erstehen kann, daran zweifle ich nicht
im mindesten; der Keim liegt tief in der deut-
schen mütterlichen Erde, und der Frühling naht,
— erstens und vor allem dieses! Zweitens glaube
ich, daß Gott sich aller herrlichen Keime, die
in der deutschen Nation liegen, bedienen will,
um von ihr aus ein neues Leben, ein neues Beich

seiner Kraft und Herrlichkeit über die Erde zu
verbreiten. Drittens: daß die Nation frei ist, frei
durch ihre eigne Kraft und Tugend, und durch
den Gott, der sie verliehen; sie kennt diese Kraft
und sehnt sich nach der Urquelle in allem Posi-
tiven, will dieses teure, einzige Gut nicht mehr
verlieren, und hat eine herzliche Freude an einer
jeglichen Frucht, die aus ihrem Schöße hervor-
geht. — ^ ierlens: Es hat eine kleine Anzahl
deutscher Künstler, gleichsam durch eine gött-
liche Erleuchtung von der wahren Hoheit und
Göttlichkeit ihrer Kunst durchdrungen, ange-
fangen, die verwachsene Bahn zu ihrem heiligen
Tempel zu reinigen, um dem vorzuarbeiten, der
da kommen wird, um sein Inneres zu säubern
von Käufern und Verkäufern. Dieses Häuflein
harrt auf eine würdige Veranlassung und brennt
vor Begierde, der Welt zu zeigen, daß die Kunst
jetzt wie einst herrlich ins Leben zu treten ver-
mag, wenn sie nur aufhören will, eine feile Die-
nerin üppiger Großen, eine Krämerin und nied-
rige Modezofe zu sein, wenn sie, durch eine
mächtige Liebe überwältigt, einherwandeln will
in Knechtsgestalt, mit keinem andern Schmuck
als dem der Liebe, der Reinheit und der Kraft
des Glaubens, als den wahren Adelsbriefen ihrer
gölllichen Abkunft.

Was nun aber der freien Entwicklung einer
solchen Kunst furchtbar entgegensteht, ist mei-
nes Erachlens erstens: der gänzliche Mangel an
Organen höherer Art bei unsern Fürsten und
Großen. Sie sind wahrhaft das Kamel, das durchs
Nadelöhr soll; ihre Herzen sind nicht, wo die
Herzen ihres Volkes sind; zu tief haben sie aus
dem Kelch der großen Flure getrunken! Zwei-
tens: der Lügengeist der modernen Kunst über-
haupt, der mit seinem negativen Eklektizismus,
mit der Nichtigkeit und Schwäche unserer
Großen aufs vollkommenste übereinstimmt, den
insbesondere die fatalen Kunstakademien und
deren lederne Vorsteher in unserm Vaterlande,
die nur sich, ihre maschinenmäßige Richtigkeit
und weiter nichts zum Ziel haben, und alles,
was der Staat Wichtiges für die Kunst tun will,
in ihre Kanäle zu lenken wissen, wo es sich in

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