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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 43.1927-1928

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Lindemann, Reinhold: Willi Schmid
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https://doi.org/10.11588/diglit.16477#0233

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WILLI SCHMID

Wie es Musiker gibt, schaffende und nachschaf-
fende— „Musikanten" möchte man sie nennen
—, denen im reinen Wohllaut des klar und
sicher geformten Tones und der Melodie die
Seele ihrer Kunst beschlossen liegt, fernab aller
gedanklichen und gefühlsmäßigen Belastung —
so muß man auch in der bildenden Kunst ge-
wisse Grundtypen voneinander scheiden: einen
Typus, dessen künstlerische Antriebe sich vor
allem in der liebevollen Behandlung des male-
rischen Oberflächenscheins, im Betonen der rein
handwerklichen Momente seinerKunst erschöp-
fen, und einen anderen, der, aus geheimen Hinter-
und Untergründen des Seelischen kommend,
Farben und Formen nur als diesichtbaren Gleich-
nisse für völlig Unsichtbares auf die Fläche setzt.
Natürlich treten diese beiden Künstlerarten
höchst selten in unvermischter Reinheit auf;
aber es ist gut, wenn man sie in ihren Besonder-
heiten kennen und unterscheiden lernt, sonst
sind Fehlurteile und kritische Ungerechtigkeiten
kaum zu vermeiden.

Auch einem Maler wie Willi Schmid würde man
nicht gerecht werden, wollte man ihn mit jenem
absoluten Malertyp verwechseln, dem nicht nur
die Impressionisten des vorigen Jahrhunderts,
sondern auch bedeutende Künstler früherer
Zeiten, z. B. manche Holländer des 17. Jahr-
hunderts zuzurechnen sind. Denn wie sehr
auch immer Willi Schmid mit einem starken
Sinn für ganz bestimmte malerische Tonwerte
begabt ist, eigentlich hat er doch gar nichts mit
einer Malerei im Sinne absoluter Farbkultur
gemein. Dieser junge Münchner Künstler, der
in den letzten Jahren eine erstaunliche, stetig
ansteigende Entwicklung durchgemacht hat,
möchte mit malerischen Mitteln (nach seinen
eigenen Worten)zum„Grunde".zum„Y\ esen"
kommen. Daher sein Drang nach Überwindung
der Farbmaterie, nach Auflösung der Greifbar-
keit des Pinselstrichs, daher auch sein Arbeiten
in einer gemischten Ol-Temperatechnik, die
nur wenige zarteste Konturen kennt, am liebsten
die Sinnlichkeit der Form zu einem gelblichen
Phosphoreszieren dämpfend, das hinter dunk-
len, braungrünen Schleiern magisch hervor-

bricht. Dabei wirken Schmids Bilder keines-
wegs verschwimmend oder kleinlich intim, viel-
mehr groß, oft monumental wie das stark ver-
geistigte Bildnis „Mutter und Kind" oder das
auch menschlich ergreifende Selbstporträt mit
den schwermütig staunenden Augen oder
schließlich die drei trauernden Frauen (Fresko),
die sich zu einem Akkord verhaltener Klage
auf der Fläche vereinen.

Dieser schwermütige Ausdruckscharakter, der,
sollte er zur Manier erstarren, der fruchtbaren
Forlentwicklung des Künstlers gefährlich werden
könnte, — eine ausgesprochene Mollstimmimg
(kein dämonisches D-Moll, sondern ein unir-
disch weiches B-Moll) ist eigentlich allen Bildern
Willi Schmids zu eigen. Auch die ausdrucks-
schöne „Madonna mit Kind" lebt in dieser
Region gedämpfter Trauer, im Dämmerbereich
eines malerischen Sfumato, das von ferne an
die träumerisch verklingende Weichheit lionar-
desker Frauenköpfe gemahnt; nur daß bei Lio-
nardo alle malerischen Tonwerte vornehmlich
im Dienst der plastischen Gestaltung stehen,
während Schmid die ganze Skala verklingender
Farbübergänge allein dem Ausdruck und der
Stimmung dienstbar macht. Aber ist es nötig,
hier mit kunsthistorischen Vergleichen und
Beziehungen zu kommen? Ist es nicht eher er-
laubt, überall dort, wo ein Künstler wie Willi
Schmid eine betonte Wendung von aller derben
Plastik hinweg zur „Musik", zur musikalisch
bedingten Bildform nimmt, von einem charakte-
ristisch deutschen Form- und Kunstcharakter
zu sprechen? Wurden doch die innigsten deut-
schen Werke immer als „musikalische", als
Musik des Klanges, des Wortes oder der Linie
geboren. Und auch in der Malerei lieben wir
nur dort aus voller Seele, wo wir ein Gleichnis
für Musikalisches finden. Willi Schmids Bilder
haben oft das Unbestimmte, Verklingende eines
tönenden Symbols. Die Form verschwebt, aber
im Hinübergang aus der Helle des Tages in
den mütterlichen Schoß der Nacht entsteht jenes
schon entrückte Klingen, das von jeher als die
eigentliche Sprache der deutschen Seele gilt.

Reinhold Lindemann

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