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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 43.1927-1928

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Duve, Helmuth: Carl Milles
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https://doi.org/10.11588/diglit.16477#0034

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lauf seiner weiteren künstlerischen Entwicklung
gelang Milles die Lösung des Problems monu-
mentaler Wirkung, dank größerer Aufgaben,die
das schwedische Volk ihm öfters zu stellen Ge-
legenheit hatte. Sein Grabdenkmalentwurf kann
den Einfluß des „Monument aux morts" von
Bartholome nicht ganz verleugnen, und soemp-
findetman auch in denblockgebundenen,zusam-
mengekauerten Gestalten des Industriemonu-
mentes etwas vom michelangelesken Geiste. Ein
genialer Wurf, dessen Fertigstellung 21 Jahre in
Anspruch nahm, ist das Sten-Sture-Denkmal.das
den Reichsverweser, hoch zu Roß, darstellt und
in Uppsala auf einem beträchtlich hohen turm-
artigen Unterbau aufgestellt ist. Eindrucksvoll
in der Y\ irkung ist die 25 m hohe Schiff-
fahrlssäulc in Heisingborg, von der herab eine
auf einer Kugel balancierende Hermesgestalt
die sich nähernden Schiffe begrüßt. Ähn-
lichen Motivs, aber weniger glücklich in seiner
Aufstellung, ist der Bogenschütze vor Lilje-
valchs Konsthall. Die beste Lösung dieser Art
schein tMillesin der Tonskizze zur „Engelbrekls-
säule" gelungen zu sein, die sich langsam nach
oben verj iingt und ein Kapiläl trägt, auf dem—in
abwehrberciter Kampfstellung — die sehnige
Ritlergeslalt jenes Freiheitskämpfers steht; die
kraftgeschwellten Arme hallen sich das Gleich-
gewicht fast auf einer Linie, in deren Mitte die
Verlängerung der rechten ßeinaehse fällt, wäh-
rend dieser Tendenz des Vorschreitensund Aus-
holens ein Gegengewicht geboten wird durch
das Sichaufrecken, das die Gestalt mit einem
sieghaft emjaorstrebenden Kraflslrom erfüllt.
Ausgesprochen realistisch aufgefaßt ist das
ßronzedenkmal für den Physiker Scheele und
das Franzenmonument in Härnösand. An der
Offenbarungskirche zu Saltsjöbaden ist Milies
mit Alabasterreliefs, mit einer streng stilisierten
Engelsgeslalt und mit figürlicher sowie orna-
mentaler Bronzeplastik an den Türen beteiligt.
Auf dem linken Flügel dieser Kirchenlür ver-
sinnbildlicht er das Unglück, auf dem rechten
das Glück. Die Fassade von Stockholms En-
skilda Bank hat der Künstler mit fast vollplasti-
schen Steinskulpturen geschmückt, die ein Bild
von der Entwicklung des Handels in den letz-
ten 600 Jahren geben sollen. In den letzten
Jahren hat er sich viel mit Brunnenplänen
beschäftigt. Für den Folke Filbyter-Brunnen,
der im Sommer 1927 fertiggestellt wird, liegt
ein Tonmodell vor, das von seiner Wirkung
eine ungefähre Vorstellung gibt. Das Bassin,

welches aus schwarzblauem Granit bestehen,
16 m lang und 1.1O m hoch sein wird,
zeigt 25 Reliefs aus der Geschichte der Fol-
kunger Könige und mitten in demselben den
Reiterkönig Folke Filbyler, der während seines
ganzen Lebens seinen Sohn suchte, welchen
Möncheschonfrühzeiliggeraubthallen,um seine
Familie auszurollen, der das Land kreuz und
cj uer durchritt, bis er dann mit 80 Jahrenden Sohn
endlich wiederfand. Durch den bereits 1926
vollendeten „Europabrunnen" in Halmstad hat
der Künstler den Beweis erbracht, daß er nicht
nur fähig ist, Figuren plastisch zu gestalten, son-
dern auch sie zu gruppieren und mit Rücksicht
auf den Platz ihrer Aufstellung architektonisch
zusammenzufassen. Unter den neuesten in Ar-
beit befindlichen Statuen muß vor allem die für
den Platz vor dem Konzerthaus in Stockholm
geplante „Orpheusfigur" erwähnt werden, die
die schlanke Gestalt des lyraspielenden Sängers,
auf stilisierten Blättern eines Blutenkelches
leichtfüßig hin- und hertänzelnd, zeigt. Slark
erzählender Natur ist das kürzlich in Lon-
don enthüllte „Swedenborg-Denkmal", wo den
kniend dargestellten, seinem Gesicht nach fast
porlrätähnlich wirkenden Mystiker die in Ge-
slalt eines Engels personifizierte Vision über-
wältigt. Im Granit, den er anwendet, schlum-
mert eine gewaltige, nur durch die schwere
Masse gebändigle potentielle Energie, die in
dem Cerberus-Portalwächler (vor deiTcchni-
schen Hochschule in Stockholm) dumpf sich
regt und in dem aus roten Urgestein geschla-
genen grotesken Idyll: „Seegott mit .Meerjung-
frau" sich vollends entfesselt. Hier gelang der
barocken Bildhauerphanlasie ein ganz großer
Wurf.

Ob der Künstler sich nach der Richtung archi-
tektonisch monumentaler Gestaltung fortent-
wickeln wird, ist wohl fraglich: dazu liegt ihm
das lebensgroße Format zu sehr, das für den
Bildhauer ja eigentlich auch das Gegebene ist.
Er liebt Haltung. Gestikulation und Physio-
gnomie seiner Körper mit seelischer Bewegung
zu durchdringen. Das bezeugt sein 1913 in
Muschelkalk geschlagenes „Tänzerpaar," dessen
Gesichler archaisierend und dessen Körper
idealisiert dargestellt sind. Von Zeit zu Zeit
aber interveniert auch bei Milles der Realis-
mus, macht sich eine stärkere Auffassung des
Anatomischen gellend, wandelt sich die stereo-
type Bewegung in eine charakteristische. Sein
„Frauenlorso" (1916) verrät ein Gefühl für

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