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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 53.1937-1938

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Müller, Karl Alexander von: Karl Haider: zu seinem 25. Todestag 29. Oktober 1912
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https://doi.org/10.11588/diglit.16486#0005

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Karl Haider. Geißbub. Zeichnung (1905)

Karl Haider. Zu seinem 25.Todestag 29. Oktober 1912. Von Karl Alexander von Müller

Schon manchmal hatten wir ihn auf unseren Wan-
derungen am Schliersee begegnet, am einsamen
Westufer zumeist, das damals noch von keiner
Eisenbahn in seiner Stille aufgestört war. oder auf
dem schmalen, buschüberwachsenen Pfad, der am
Südende des Sees vom ,,Finsterlin" zum „Schnap-
per" hinüberführte. Von weitem schon eine unver-
kennbare Gestalt: mit dem großen, breitrandigen
Künstlerhut. im langen Lodenmantel, einen kräf-
tigen Knotenstock in der Hand, den Dackel zur
Seite. Näherkommend sah man einen mittelgroßen,
eher hageren und zierlichen Mann, um die Sech-
ziger bereits, mit schütterem graubraunem Vollbart,
jedoch von sehr gerader Haltung, zügigem Schritt,
jugendlichen Bewegungen. Wenn er unterwegs
stehen blieb und mit eingestemmten Armen prü-
fend etwa in die Felswände von Hohenwaldeck
schaute, lag in den hellen, scharfen Augen, die
hinter der schmalen, altmodischen Stahlbrille her-
vorblitzten, neben der weichen Aufnahmefähigkeit
und dem Traumsinn des Künstlers auch noch etwas
von der Sicherheit und Lebenslust eines Jägers.
Wir kannten und liebten damals schon eine Reihe

seiner Bilder und fingen unter uns bereits an, ge-
wisse Schönheiten unserer oberbayrischen Heimat
,.haiderisch"' zu nennen. Lnd eines Tages, im Som-
mer 1910, faßten wir uns das Herz, ihn selber auf-
zusuchen. Am Nordrand von Schliersee irgendwo,
wußten wir, sollte sein kleines Häusel stehen; in
der Sommerau draußen, sagten die Einheimischen,
die wir fragten. Und wirklich in einer Sommer-Au
war es gelegen, auf einer sanften Bodenschwellung,
mitten in blumenreichen Wiesen, klein beisammen
unter seinem flachen, weitvorspringenden, steinbe-
schwerten Schindeldach, einstöckig, halbStein-,halb
Blockbau, nur drei Fenster in der Breite des Erd-
geschosses, aber mit einem köstlichen Ausblick auf
See und Insel, Wald und Berg. Schon nach wenigen
Worten führte er uns ins Atelier: ein kleines Nord-
zimmer, neben der Küche, in dem nichts stand als
ein Pianino, ein Maltisch und zwei Staffeleien. Auf
diesen Staffeleien inmitten des ganz schmucklosen
Raumes aber blühten und leuchteten wie zwei
traumhafte Märchen ,,der Frühling1' und ,,die
Idylle". Märchen der Farbe und der Dichtung zu-
gleich. Beide Male ein Mädchen, dasselbe kindlich-

Kunst f. Alle. Jahre. 53. Heft I, Oktober 1937

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