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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 53.1937-1938

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Hohoff, Curt: Delacroix und van Gogh
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https://doi.org/10.11588/diglit.16486#0233

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Delacroix und van Gogh

Gleichzeitig erscheinende Jugenddokumente großer
Maler veranlassen den Betrachter, Ähnliches und
Verschiedenes hei ihnen zu suchen. ..Der junge
Delacroix*' (Briefe. Tagebücher und andere Auf-
zeichnungen von 1815 bis zur marokkanischen
Beise 1852. herausgegeben von H. Graber, Basel
1958) und Vincent van Gogh scheinen freilich
kaum Vergleiche zuzulassen. Strahlend tritt uns
der junge Franzose entgegen mit dem Erbe roman-
tischen Schwunges und Überschwanges, mit welt-
männischer Weite. Sein zum Erhaben-Allgemeinen
drängender Geist bändigt eine überquellende Fülle
sinnlicher Kraft und künstlerischer Phantasie.
Man wird als Deutscher den starken inneren Glanz
unter dem distanzierenden Pathos dieses Lebens
erst allmählich gewahr, und der Zugang zu dem
schweren Holländer van Gogh ist uns leichter, weil
hier die Geschichte einer Seele sich unmittelbar
darbietet. (Vincent van Gogh, Briefe an den Maler
Aiithon van Rappard 1881 — 1885, Wien 1957.)
Die Briefe van Goghs sind erst 1951 ans Licht ge-
kommen und fünf Jahre später in Amerika in eng-
lischer Übersetzung erschienen. Die deutsche Aus-
gabe behielt den ungelenken Stil mit seiner schwer-
fälligen Anmut glücklich bei. Rappard ist ein hol-
ländischer Jugendfreund, in dem van Gogh einen
Gleichstrebenden sah. ,,Der Grund, warum ich Dir
wieder schreibe, ist ja gerade meine Liebe zu Mil-
let und zu Breton und zu allen, die Bauern und
das Volk malen, und zu denen zähle ich Dich."
Diese Briefe sind, genau betrachtet, die für van
Goghs Entwicklung wichtigsten, denn sie umfas-
sen die Jahre nach der religiösen Überspannung
als Prediger in der Borinage: als er beginnt, sich
seines Malertums ganz bewußt zu werden und im
Haag mit Motiven aus dem Armeleuteleben seinen
eigenen, später so bewunderten Stil zu entwickeln.
Da der Freund auch Maler ist, enthalten die Briefe
viel kunstbetrachtende Darlegung, Sammlermittei-
lungen und technisches Detail. Die Versuche, auch
theoretisch zu gewissen Einsichten zu gelangen,
bei van Gogh stets wichtig und erstaunlich erfolg-
reich, tragen in ihrer ehrlichen Derbheit jene Gül-
tigkeit in sich, die solches Bemühen selbst schon er-
zeugt, und darunter jenes Menschliche, das alle
Briefe dieses Malers zu erschütternden Bekennt-
nissen macht.

Van Gogh ist der werbende Teil dieser Freund-
schaft, die allmählich erlischt, weil Rappard zu
kritisch war und van Gogh zu empfindlich für Kri-
tik. Man kann dem Freund heute leicht Verkennen
des Neuen, Genialen bei van Gogh vorwerfen, doch
der Umgang mit einem solch fanatischen Eiferer
ist menschlich eine Qual, und Liebe und Inbrunst
sind lästig, wenn ein Unglücklicher sie aufdrängt.
Das Verpuffen von soviel seelischer Energie macht
das Leben van Goghs freilich in hohem Maße tra-
gisch, so daß ihm Mitgefühl und brennende An-
teilnahme der Nachwelt gewiß sind: wie das Stru-
delnde, Untergründige immer fesselnder ist als die,

daran gemessen, überlegene Selbstbeherrschung,
das erzengelhafte Kraftgefühl, die Festigkeit des
seelischen Umrisses Delacroix'. Der Franzose
schreibt mit dreiundzwanzig Jahren an einen
Freund: „Ich muß eines Tages in die Toskana
gehen, um euch alle wie ein zweiter Messias dieser
Sklaverei zu entreißen und einen wie den andern
der Malerei in die Arme treiben, dieser guten und
duldsamen Mutter, die euch vergeben wird, daß
ihr eine Zeitlang einen Teil eurer Zeit Torheiten
gewidmet habt."

Van Gogh stieg von unten herauf, Delacroix
senkte sich herab auf den Flügeln der Begeisterung.
Wir verfolgen die Entstehung der ersten berühm-
ten Bilder, des Massaker von Chios und des Todes
des Sardanapal, wo das Sentimentale sich zum
Heroischen wandelt. Wir reisen mit aus einem ge-
schäftigen Paris nach einem England, das ,,im
Gold schwimmt", vor allem aber nach Marokko,
das dem Maler das größte Erlebnis, Motivquelle fürs
Leben wird; hier sei die wahre Antike, meint er ent-
zückt von Romantik und Wildheit, Sonne und Farbe.
Er entdeckt die Farbe als das eigentlich tragende
Element der Malerei. Unendlich viel rafft er in im-
pressionistisch gereihten Tagebuchnotizen an Bil-
dern, Eindrücken, Stimmungen und Geschehnissen.
Beiden Bänden sind Bilder beigegeben, bei van
Gogh sieben Bildtafeln in Kupfertiefdruck und
fünf überaus studierenswerte Faksimiles, bei Dela-
croix dreißig große Tafeln, auf denen man zum
Teil wenig gesehene Bilder und Radierungen fin-
det. Der Zeichner Delacroix mag vielen eine
Überraschung sein, man sieht nicht nur leonardeske
Studien und Entwürfe späterer Werke, sondern
auch Tagebuchskizzen und zwei geniale Zeichnun-
gen, ein Selbstbildnis und den de Mornay von 1852.
Bei ihrem Anblick wird der Satz Delacroix', „das
erste und wichtigste in der Malerei ist der Kontur",
seltsam eindringlich bestätigt. Im letzten Brief des
vorliegenden Bandes geht van Gogh ausführlich
auf Delacroix ein und zitiert beifällig, man sage,
Delacroix zeichne nicht — man solle sagen, er
zeichne nicht wie die andern. Damit ist der Kern
getroffen, denn der farbberauschte Delacroix will
nicht die Zeichnung um ihrer selbst willen, sondern
er hebt mit dem Kontur die Wesenslinie der Dinge
hervor im Sinn barocker Gliederung stofflicher
Massen, die er wieder aufnahm.
So rücken diese Zeichnungen mit ihrer dämoni-
schen Deutlichkeit sonderbar in die Nähe von van
Goghs eigenen Bildern, wo das mächtig sich Regende
zu magischer Klarheit durchgedrungen ist, und
diese letztliche Verwandtschaft ist stärker, scheint
uns, als alle Verschiedenheiten: beide Maler ge-
langen künstlerisch und auch theoretisch zur Voll-
kommenheit, der eine in quälerischer Selbstausein-
andersetzung, der andere in strebender Aneignung
möglichst weiter Bezirke. Diese Möglichkeiten der
Bildung sind beide jugendlich, wenn auch nicht
beide köstlich, aber die Früchte, an denen man sie
erkennen soll, sind in ihrer jeweiligen Einmalig-
keit zugleich Sinnbild des Allgemeinen. Dr.c.Hohoff

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