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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 53.1937-1938

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Bertram, Ernst: Worte in einer Werkstatt
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https://doi.org/10.11588/diglit.16486#0123

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Worte in einer Werkstatt. Von Emst Bertram*

Daß ihr mir nicht die Welt da draußen knechtisch
abbildet! Wir malen ja, Kinder, damit die Men-
schen Heimweh bekommen nach einer Welt, die es
nicht gibt.

Werde mir nicht ein Sklave des Sichtbaren, mein
Kind. Du mußt lernen, das Unsichtbare zu malen.
Dazu sind wir da. Das Sichtbare zu malen ist Hand-
werk, und hüte dich ja, das Handwerk jemals zu
verachten. Aber ein Maler bist du erst, wenn du
malst, was keiner sieht.

Du mußt nicht Felsen malen, sondern Träume von
Felsen; denn deine Tafeln sollen nicht Landschaf-
ten sein, sondern Gesichte.

Wir müssen die Möglichkeiten malen. Wir müssen
den Menschen etwas von den Wundern des Mög-
lichen erzählen. Sie haben vergessen, daran zu
glauben.

Saht ihr wohl Michelangelos Schöpfungsbild? Der
Herr fuhr in einer Mantelwolke von Möglichkeiten
herab, da er den Menschen schuf. In seinem Mantel
barg sich alles, was war und was sein wird von
menschlichen Gesichtern. Und sie alle blickten Adam
an bei seiner Erschaffung, und er erinnert sich ihrer
— noch heute in euch.

Fürchtet etich nicht vor Übertreibung. Sie ist unser
Hoheitsrecht und unsre Königspflicht.
Für die alten Künstler ward jede Eidechse ein
Drache zu einem Sankt-Georgen-Bild; und die
Sense des wartenden Mähers dort zur Sense des
Letzten Todes. So wollen auch wir auf unsre Art es
halten, vor dem Werk oder auf dem Weg.
Denn nicht nur beim Malen müßt ihr die Dinge
hinauftreiben und übertreiben: schon im Sehen sel-
ber müßt ihr das tun.

Wenn ich etwas sehe, Kinder, übertreibe ich immer.
Ihr würdet euch wohl wundern, wollte ich euch
sagen, wie ich euch sehe.

Wo die Wahrheit bleibe bei solcher Pflicht zur
Übertreibung, fragt ihr?

Die Wahrheit ist ein Geschenk der Starken. DieWahr-
heit wird nicht vorgefunden, nicht angenommen,ni cht
abgeschrieben: sie wird geschaffen. Auch in unserer
Kunst. Die Kraft des Blickens schafft das Wahre.

Bewundern ist die allererste Gabe. Wie wollt ihr
denn malen, wenn ihr nicht bewundert?
Du bist immer zu ungeduldig und in der Begier,
fertig zu werden. Man muß nie durchaus fertig
werden wollen mit seinem Bild. Ich habe mich nie
geeilt. Wenn wir eilen, so eilen wir doch nur immer
zum Tode — gewiß aber zum Tod unsres Werks.
Sei weise und verschmähe nicht die Bast. Ungeduld
ist die Sünde des Künstlers.

Und kümmere dich nie darum und darüber, wie
weit noch dein Weg sei. Du darfst nicht ahnen, wie
endlos die Leiter ist. Du darfst nur um das Gebot
wissen: steige!

Das Eigenste des Künstlers liegt am Ende, nicht am
Anfang. Der echte Maler wandert seinem Ursprung
entgegen; er beginnt nicht ursprünglich. Alle Ma-
ler, die etwas wurden, begannen in der Verhexung
durch die Schönheit, die ein anderer geschaffen.
Langsam wurden sie zu sich selber.
Wenn du müde wirst, dann darfst du nicht weiter-
malen. Wer sich zwingt, mag ein Held sein, aber
noch kein Künstler. Du mußt etwas zu verschwen-
den haben. Nur solange dein Auge sich fürstlich
fühlt vor der Welt, dürfen deine Hände malen. Er-
müdet, siehst du die Dinge, wie sie sind, und das ist
dein Verrat an der W elt.

Dem Bild gehören immer nur die stärksten Stunden.
Dein Bild strahlt ja nur aus, was du um seinetwillen
gefühlt oder erlitten. Die Welt der Kunst ist der un-
erbittlichste Haushalt. Deine Bilder können nicht
verschenken, was du ihnen nicht mitgabst.

Die Hände darfst du nicht weglassen. Sie gehören
zu einem Bildnis. Hände können sich nicht verstellen.

Wenn jemand dir zumutet, auf dem Bild seine
Hände wegzulassen, mißtraue ihm: er hat ein übles
Gewissen.

Geliebte Wesen sind Dichtungen von Liebenden —
das wissen die Dichter, vielleicht. Aber wir Maler
wissen es am besten. Und die großen Schöpfer ihrer
\ ölker: sie schufen das Volk, das sie geträumt hatten.

Der Künstler malt immer die Welt als sein gewal-
tigstes Selbstbildnis. Saht ihr das nie? Zu jedem ge-
hört seine Welt, zu ihm ganz allein. Das ist das Ge-
richt, und ein anderes Gericht gibt es hier unten nicht.

Ein Bild muß ein Bätsei sein. Aber freilich eines,
von dem jede Auflösung falsch ist. Klarheit ist
etwas, das nur der Form gehört; das Wesen aber
deines Bildes soll immer Zwielicht bleiben.
Ein lebendiges Bild muß immer noch etwas zu er-
raten aufgeben: denn alles Erratene ist ein Totes,
oder Todgefahr. Das erratene Bild ist der Tod des
Bildes und des Bildners.

Laßt euch die Trennung von den Bildern nicht leid
tun, die ihr hergeben mußtet, um zu leben. Träume
kann man nicht verkaufen. Wir bleiben immer die
Herren unsrer Bilder, einerlei, wer sie in seinem
Saale zu haben glaubt. Und äußerlich uns trennen,
das müssen wir ja von allem, wir, uns selber nur
geliehene Bilder.

Meint ihr nicht, daß eine Zeit kommen könnte, wo
man das malen wird, was man nicht mehr sprechen
darf oder sprechen mag? Wo man das zeichnen
wird, was man nicht mehr wird reden können?
Solche Tage waren schon da. Und alles kommt ver-
wandelt wieder. Denn die Welt dreht im Bade.
Die schönsten Gedichte unsrer frühen Vorfahren
waren ihre Kleinodien, ihre Bilder und Bildwerke.
Wie wir auch ihre wahren großen Erkenntnisbücher
in ihren Domen lesen.

') Entnommen der Zeitschrift ..Das Innere Reich", Verlag Albert Langen / Georg Müller. München.

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