Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 53.1937-1938

DOI Artikel:
Schütz, Roland: Das Auge in der antiken Kunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.16486#0071

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Abb. I. Augustus aus Merve

Abb. 2. Der sog. Blaubart
Poroskopf von der Akropolis, Athen
(archaische Zeit]

Abb. 3. Tiberius

Das Auge in der antiken Kunst. Von Roland Schütz

Wenn wir einmal durch eine Kunsthalle, durch ein
Museum gehen, wo antike Plastiken in Marmor
oder Gipsnachhildungen aufgestellt sind, werden
wir von der Schönheit der griechischen Kunst in-
stinktiv angezogen. Mit welcher kaum je erreichten
Größe haben Phidias und Praxiteles, Kresilas und
Skopas die schöne Harmonie der menschlichen Ge-
stalt zu formen verstanden!

Allein irgendwo ist etwas, das stört. Haben nicht
die griechischen Statuen und die römischen Por-
trätbüsten etwas Leeres? Sie blicken uns nicht an
— sie starren ins Ungewisse — sie haben öde Aug-
äpfel — die Marmorköpf e entbehren der sprechenden
Augen — die Erzstatuen lassen dunkle Löcher
offen, statt daß ihre Augen kündeten von der Glut
der südlichen Lebendigkeit. Auf den kalten Aug-
äpfeln fehlt der Augenstern.

Es wäre weit schöner, wenn jene antiken Statuen
und Porträtbüsten wirklich Augen in ihren Köpfen
hätten! Rauch hätte uns eine viel schönere Goethe-
büste geschenkt, wenn er ihr Sterne in die Marmor-
augen gesetzt hätte! Abb. 8, Goethe. (Zu verglei-
chen, wie die Augen des Porträts der Totenmaske
ähneln!)

Aber wir haben von der griechischen Plastik zu-
meist nur Zerrbilder erhalten; die griechischen
Künstler haben es in der Tat anders und besser,
naturentsprechender und schöner gemacht: sie
malten nämlich auf dem porösen Marmor die bun-
ten Augensterne auf, sie setzten in alle größeren
Bronzen Augen aus Stein oder anderen Stoffen ein.
Wie wir uns die antiken Tempel, Säulenhallen,
Häuser mit leuchtend bunten Farben vorzustellen
haben, so auch die Statuen. Haare, Kleider, Waffen

und Schmuck, alles hatte farbigen Schimmer. Phi-
dias und Praxiteles legten großen Wert darauf, be-
sonders die menschlichen Augen lebendig wieder-
zugeben: sie baten die besten Maler um ihre Hilfe
dazu. Wenn einmal blinde Augen dargestellt wer-
den sollten, wußten die Bildhauer gerade feine
Mittel anzuwenden, um das nach innen gekehrte
Sehen zum Ausdruck zu bringen, wie das der be-
kannte Kopf des blinden Homer aus dem 4. Jahr-
hundert zeigt. Im übrigen sind uns Farbreste er-
halten, hier und da auch voll ausgemalte Augen
und eingesetztes Material. Man sieht den Unter-
schied deutlich, wenn man die beiden Köpfe aus
der griechisch-römischen Zeit gegenüberstellt:
Abb. 1 u. 5, Augustus und Tiberius.
Möchten doch die griechischen Künstler in dieser
Hinsicht Wegführer für uns werden zu einem
guten Geschmack im künstlerischen Sehen, und
immer wieder Lehrmeister für die ausübenden
Künstler! Sie wußten das menschliche Auge in
seiner natürlichen Schönheit künstlerisch wieder-
zugeben. Es hat freilich eines längeren Weges be-
durft, bis sich das künstlerische Schaffen und Er-
kennen zu der vollendeten Gestaltungsweise durch-
rang. Einige Abschnitte dieses Weges will ich im
folgenden angeben.

Die Bildhauer der archaischen Zeit ließen die Aug-
äpfel der Statuen weit heraustreten. Durch kräftige
Bemalung wrurden die Augen wenn auch nicht see-
lisch, so doch körperlich lebendig. An dem sog.
Blaubart, dem Poroskopf von der Akropolis (An-
fang des 6. Jahrh.), heben sich auf gelblichen Aug-
äpfeln grasgrüne Augensterne ab, aus denen die
schwarzen Kreise der Pupille ungemein stark her-

64
 
Annotationen