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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 53.1937-1938

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Junghans, Fritz: Schachfiguren
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https://doi.org/10.11588/diglit.16486#0105

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Springer aus Elfenbein. Westdeutschland. 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts. Höhe 9 cm

Kaiser-Friedrich-Museum, Berlin

läufigen in Form und Größe. Sie waren meist
aus edlem Material, wie Elfenbein oder Berg-
kristall, und hatten einen Umfang, der es glaub-
würdig erscheinen läßt, wenn überliefert wird, daß
Spieler bei einem etwa ausbrechenden Streite die
Figuren ihres Schachspiels als Wurfgeschosse be-
nutzten. Auch die Benennung der Figuren war
ursprünglich lebendiger. An Stelle der farblosen
Türme, Springer. Läufer gab es Minister, Streit-
wagen, Reiter, Fußsoldaten. Im Abendland er-
gaben sich neue Namen wie Ritter, Bischof: aus
dem Minister (Wesir), der umfassendsten Figur
des Schachspiels, wurde die Königin, allerdings, so
könnte man sagen, irrtümlich! Im Persischen näm-
lich hieß der Wesir Farz. Dieser Name wurde in dem
damals im Abendland vorherrschenden Lateini-
schen mit Farzia übersetzt — aus dem in Frank-
reich Fierge wurde. Die Verbindung mit \ ierge
lag nahe, die beiden Worte wurden gleichgesetzt,
und aus dem Minister wurde eine Jungfrau! Ein-
mal weiblichen Geschlechts geworden, gab man sie
dann dem König zur Gemahlin, den sie nun mit
überlegenen Kräften verteidigen darf. Auch sonst
brachten die Jahrhunderte manche Veränderung,
ohne den Ursprung des Spiels ganz verwischen zu
könuen. Schon der Name deutet in die Richtung,
aus der das Spiel nach dem Abendland kam. Denn

unser Schach ist nichts anderes, als das persische
Wort Shah, d. h. König. Die Existenz des Turmes
erklärt sich wohl daraus, daß er ursprünglich als
Baldachin auf dem Rücken des heute aus dem
Schachspiel verschwundenen Elefanten thronte;
und bei der Rochade werden auch die gewiegte-
sten Schachspieler im allgemeinen nicht wissen,
daß der Name dieses Platzwechsels zwischen König
und Turm von dem arabischen Wort Rukh = Turm
kommt. Ja sogar das Wort Matt, das in den Tages-
gebrauch unserer Sprache durchaus eingegangen
ist, ist, so deutsch es klingen mag, das persische
Wort Mat = Tod, das den Ausgang des Spieles be-
zeichnet. Es ist vielleicht der beste Beweis für die
tiefe Bedeutung, die das Schachspiel für das Abend-
land gehabt hat, daß Termini des Spielverlaufes
zu Worten der Umgangssprache wurden. In der Tat
ist dieses Spiel da, wo es richtig verstanden wurde,
immer verstanden worden als ein Abbild des gro-
ßen Spiels, das wir Weltgeschichte nennen: am
schönsten vielleicht von Martin Luther, der. als
einmal an seinem Tische die Rede auf das Schach-
spiel kam, sagte: „Wenn ich reich wäre, wollte ich
mir ein gülden Schacht und silberne karten werk-
lich lassen zurichten zu einer erinnerung, denn got-
tes Schacht und karten sind große mächtig fürsten,
könige, kaiser."

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