Abb. 5. Gustav Petermann: Faltprospekt „Langeoog". (Meer blaugrün, Insel sandfarben bis stumpfgrün)
Über das künstlerische Plakat. Von Henri Nannen
Seine Existenz ist, obwohl der gebräuchliche Aus-
druck sie behauptet, durchaus nicht unbestritten.
Um sie zu beweisen, wäre es nötig, das Wesen so-
wohl der Kunst als auch des Plakates zu ergründen,
ein Unterfangen, das sich auf wenigen Seiten kaum
bewerkstelligen ließe. Dabei ist die Frage nicht
etwa die, ob sich die beiden Begriffe „Plakat" und
„Kunst" überhaupt berühren — denn das kann
nicht bezweifelt werden — fraglich und für unsere
Untersuchung von Interesse wäre nur, ob sie in einer
wesentlichen Abhängigkeit voneinander stehen, so
etwa, daß ein gutes Plakat notwendigerweise auch
künstlerisch und demzufolge ein künstlerisches
Plakat auch als Plakat gut, d. h. werbewirksam
sein müsse.
Denn es wird von denen, die an das Plakat die For-
derung der künstlerischen Qualität stellen, zumeist
übersehen, daß ein Plakat in erster Linie weder
einen dekorativen Wandschmuck noch eine künst-
lerische Ausdrucksstudie. sondern eben ein Werbe-
mittel darzustellen hat. Eigentliche Aufgabe des
Plakates ist, in möglichst vielen Menschen ein Be-
dürfnis nach der angepriesenen Ware und den Wil-
len zur Befriedigung dieses Bedürfnisses wachzu-
rufen und alle Hemmungen, die dem etwa wider-
streben könnten, gegenstandslos zu machen. Es übt
also eine Funktion aus, die an sich mit künstle-
rischer Gestaltung nichts zu tun hat, im Gegenteil,
man könnte geneigt sein, diese zielbewußte Zweck-
haftigkeit des Plakates für unvereinbar mit dem
Wesen des Kunstwerkes, das nicht auf eine bewußte
Wirkung hin, sondern aus einer inneren Notwen-
digkeit heraus geschaffen wird, zu halten. Man sage
nun nicht voreilig, das Plakat suche eben seine
Funktion mit künstlerischen Mitteln zu erfüllen,
das wäre höchstens ein Lhrterscheidungsmerkmal
gegenüber dem "Werbevortrag, der ja schließlich
dieselbe Funktion hat, aber es wäre kein Beweis für
die Abhängigkeit der Werbewirksamkeit vom
Künstlerischen überhaupt.
Ein Plakat kann gefallen oder abstoßen — aber
wann hätte man je ein Kunstwerk nach solchen Ge-
sichtspunkten zu beurteilen gewagt. Diese Eigen-
schaften gehen höchstens den Geschmack an, und
obwohl es Menschen gibt, die immer wieder vom
„künstlerischen Geschmack" reden, so ist dieser
dennoch fast eine contradictio in adverso, ebenso
wie etwa ein malender Tenor. Allerdings mag es
vorkommen, daß ein Tenor auch bildnerische Fä-
higkeiten besitzt, so gut wie ein Künstler mit Ge-
schmack und ein „geschmackvoller" Mensch mit
künstlerischem Talent begabt sein können, aber an
sich haben Geschmack und Kunst nichts mitein-
ander zu tun. Das wird sofort klar, wenn jemand
darauf kommen möchte, etwa den Isenheimer Altar
des Matthias Grünewald mit der grauenvollen und
eben darum künstlerisch ungemein starken Kreu-
zigungsgruppe als „geschmackvoll"' zu bezeichnen
oder aber einen geschmackvollen Filzhut als künst-
lerisch. Das Geschmackvolle ist passiv, es läßt sich von
uns anschauen und bleibt stumm. Ein Hut, dessen
Form ganz seinem Zweck und der gerade herrschen-
Kunst f. Alle, Jahrgang 53, Heft 3, Mai 1933
22
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Über das künstlerische Plakat. Von Henri Nannen
Seine Existenz ist, obwohl der gebräuchliche Aus-
druck sie behauptet, durchaus nicht unbestritten.
Um sie zu beweisen, wäre es nötig, das Wesen so-
wohl der Kunst als auch des Plakates zu ergründen,
ein Unterfangen, das sich auf wenigen Seiten kaum
bewerkstelligen ließe. Dabei ist die Frage nicht
etwa die, ob sich die beiden Begriffe „Plakat" und
„Kunst" überhaupt berühren — denn das kann
nicht bezweifelt werden — fraglich und für unsere
Untersuchung von Interesse wäre nur, ob sie in einer
wesentlichen Abhängigkeit voneinander stehen, so
etwa, daß ein gutes Plakat notwendigerweise auch
künstlerisch und demzufolge ein künstlerisches
Plakat auch als Plakat gut, d. h. werbewirksam
sein müsse.
Denn es wird von denen, die an das Plakat die For-
derung der künstlerischen Qualität stellen, zumeist
übersehen, daß ein Plakat in erster Linie weder
einen dekorativen Wandschmuck noch eine künst-
lerische Ausdrucksstudie. sondern eben ein Werbe-
mittel darzustellen hat. Eigentliche Aufgabe des
Plakates ist, in möglichst vielen Menschen ein Be-
dürfnis nach der angepriesenen Ware und den Wil-
len zur Befriedigung dieses Bedürfnisses wachzu-
rufen und alle Hemmungen, die dem etwa wider-
streben könnten, gegenstandslos zu machen. Es übt
also eine Funktion aus, die an sich mit künstle-
rischer Gestaltung nichts zu tun hat, im Gegenteil,
man könnte geneigt sein, diese zielbewußte Zweck-
haftigkeit des Plakates für unvereinbar mit dem
Wesen des Kunstwerkes, das nicht auf eine bewußte
Wirkung hin, sondern aus einer inneren Notwen-
digkeit heraus geschaffen wird, zu halten. Man sage
nun nicht voreilig, das Plakat suche eben seine
Funktion mit künstlerischen Mitteln zu erfüllen,
das wäre höchstens ein Lhrterscheidungsmerkmal
gegenüber dem "Werbevortrag, der ja schließlich
dieselbe Funktion hat, aber es wäre kein Beweis für
die Abhängigkeit der Werbewirksamkeit vom
Künstlerischen überhaupt.
Ein Plakat kann gefallen oder abstoßen — aber
wann hätte man je ein Kunstwerk nach solchen Ge-
sichtspunkten zu beurteilen gewagt. Diese Eigen-
schaften gehen höchstens den Geschmack an, und
obwohl es Menschen gibt, die immer wieder vom
„künstlerischen Geschmack" reden, so ist dieser
dennoch fast eine contradictio in adverso, ebenso
wie etwa ein malender Tenor. Allerdings mag es
vorkommen, daß ein Tenor auch bildnerische Fä-
higkeiten besitzt, so gut wie ein Künstler mit Ge-
schmack und ein „geschmackvoller" Mensch mit
künstlerischem Talent begabt sein können, aber an
sich haben Geschmack und Kunst nichts mitein-
ander zu tun. Das wird sofort klar, wenn jemand
darauf kommen möchte, etwa den Isenheimer Altar
des Matthias Grünewald mit der grauenvollen und
eben darum künstlerisch ungemein starken Kreu-
zigungsgruppe als „geschmackvoll"' zu bezeichnen
oder aber einen geschmackvollen Filzhut als künst-
lerisch. Das Geschmackvolle ist passiv, es läßt sich von
uns anschauen und bleibt stumm. Ein Hut, dessen
Form ganz seinem Zweck und der gerade herrschen-
Kunst f. Alle, Jahrgang 53, Heft 3, Mai 1933
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