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Toni Fiedler. Torso im Nationalmuseum in Athen
Zeichnung
baren Ebene. Erst der malerische Impressionismus
und Expressionismus haben den Bann Thorwaldsens
gebrochen und heute können die Künstler die antike
Bildhauerei wieder in ihrer räumlich dynamischen
Schönheit erkennen und jenes plastische Feuer, das
die Künste des Mittelalters und der Renaissance
durchglüht hat und das selbst den kühlen Schliff
der Klassizisten durchwärmte, in seiner unmittel-
baren Naturkraft erfühlen.
Als erstes fällt an den Blättern von Fiedler auf.
daß er die plastischen Formen nicht im einzelnen
nachahmt, sondern aus Verständnis für den plasti-
schen Geist der Griechen die Bildwerke als eine
malerische Einheit betrachtet, und daß er nicht die
Grate, Buckel, Kurven und Umrisse in spitzer Ab-
grenzung hervorhebt, sondern das schmelzende
Leben, das die Formen zusammenhält und ver-
einigt, im Korn des Marmors und im Ton der
Bronze als plastische Reizwirkung empfindet und
dem Auge als Lichtspiel vorträgt. Wie ein Maler
sieht Fiedler die weichen Schatten in den Falten,
und die rundende Formfülle wird ihm auch im Um-
riß zu einer Bewegung, die die Wölbung nach der
Tiefe zu weiterleitet und das Auge auf eine neue
Ansicht vorbereitet. Die Schönheit der griechischen
Plastik beruht aber schon nach ihrem geistigen Ur-
sprung auf einer malerischen Anschauung, die die
Gestalten selbst im Belief als organisches Ganzes
und Gerundetes auffaßt und im Zusammenhang
mit dem Leben, der Natur und dem Licht darstellt
und die in der Formgebung alles Isolierende als
etwas Negierendes vermeidet und überall die blü-
hende Fülle und den Reichtum der Ubergänge
sucht. Was die Photographie von der sinnlichen
Gegenwart einer Bildgestalt absterben läßt, wird in
der Zeichnung des Bildhauers wieder auferweckt,
weil der Bildhauer das plastische Ereignis der grie-
chischen Gestalten aus seinem künstlerischen Tem-
perament heraus miterlebt und in seiner Zeichnung
auch die richtige Art der Wiedergabe dafür gefun-
den hat. Das Griechische — dafür zeugen besonders
die Jünglinge vom Parthenonfries — hat er wieder
lebhafter empfunden als das Römische, und man
fühlt in Ton und Linie einen merklichen Unter-
schied der Anteilnahme zwischen dem Neptun von
Athen und dem römischen Marc Aurel. Dabei hat
Fiedler das spätantike Reiterbild auf dem Capitol
in aufrichtiger Bewunderung mehrmals in Vorder-
und Seitenansicht gezeichnet und die pralle Bau-
chung der breiten Formen in ihrem vollen Im-
petus ausgekostet. Einst übte der französische Klas-
sizist Falconet, der Meister des Reiterdenkmals
Peters des Großen in Petersburg, bittere Kritik an
dem Pferde des Marc Aurel, das ihm weder wahr
noch stilgerecht vorkam, was damals Anton Raphael
Mengs zu einer leidenschaftlichen Verteidigung des
Reiterbildes veranlaßte. Der heutige Bildhauer sieht
in dem Marc Aurel, der das Vorbild so vieler Beiter-
denkmäler in allen Ländern geworden ist, vor allem
die plastische Gespanntheit der Formlagerung und
den großen Wurf des Umrisses.
Es ist ein weiter Weg von diesen nachbildenden
Zeichnungen antiker Bildwerke zu einer Verwirk-
lichung plastischen Lebens, die jenen alten Werken
verwandt oder gleichgestimmt wäre, und niemand
wünscht, daß uns aus der Bewunderung für das
Griechische eine neue klassizistische Nachahmung
alter Formen beschert würde. Möglich aber er-
scheint, daß die Bildhauer, die die Klassik nicht
mehr als Zuchtrute und Formzwang der Schule ab-
lehnen, durch das Geschaffene hindurch das Ur-
sprüngliche künstlerischer Schöpfung in all seinem
Duft des Dichterischen, Sinnenhaften, Mythischen
und Natürlichen aufdecken können und die Leben-
digkeit, die sie in der alten Kunst finden, für ihr
eigenes Wirken fruchtbar machen.
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Toni Fiedler. Torso im Nationalmuseum in Athen
Zeichnung
baren Ebene. Erst der malerische Impressionismus
und Expressionismus haben den Bann Thorwaldsens
gebrochen und heute können die Künstler die antike
Bildhauerei wieder in ihrer räumlich dynamischen
Schönheit erkennen und jenes plastische Feuer, das
die Künste des Mittelalters und der Renaissance
durchglüht hat und das selbst den kühlen Schliff
der Klassizisten durchwärmte, in seiner unmittel-
baren Naturkraft erfühlen.
Als erstes fällt an den Blättern von Fiedler auf.
daß er die plastischen Formen nicht im einzelnen
nachahmt, sondern aus Verständnis für den plasti-
schen Geist der Griechen die Bildwerke als eine
malerische Einheit betrachtet, und daß er nicht die
Grate, Buckel, Kurven und Umrisse in spitzer Ab-
grenzung hervorhebt, sondern das schmelzende
Leben, das die Formen zusammenhält und ver-
einigt, im Korn des Marmors und im Ton der
Bronze als plastische Reizwirkung empfindet und
dem Auge als Lichtspiel vorträgt. Wie ein Maler
sieht Fiedler die weichen Schatten in den Falten,
und die rundende Formfülle wird ihm auch im Um-
riß zu einer Bewegung, die die Wölbung nach der
Tiefe zu weiterleitet und das Auge auf eine neue
Ansicht vorbereitet. Die Schönheit der griechischen
Plastik beruht aber schon nach ihrem geistigen Ur-
sprung auf einer malerischen Anschauung, die die
Gestalten selbst im Belief als organisches Ganzes
und Gerundetes auffaßt und im Zusammenhang
mit dem Leben, der Natur und dem Licht darstellt
und die in der Formgebung alles Isolierende als
etwas Negierendes vermeidet und überall die blü-
hende Fülle und den Reichtum der Ubergänge
sucht. Was die Photographie von der sinnlichen
Gegenwart einer Bildgestalt absterben läßt, wird in
der Zeichnung des Bildhauers wieder auferweckt,
weil der Bildhauer das plastische Ereignis der grie-
chischen Gestalten aus seinem künstlerischen Tem-
perament heraus miterlebt und in seiner Zeichnung
auch die richtige Art der Wiedergabe dafür gefun-
den hat. Das Griechische — dafür zeugen besonders
die Jünglinge vom Parthenonfries — hat er wieder
lebhafter empfunden als das Römische, und man
fühlt in Ton und Linie einen merklichen Unter-
schied der Anteilnahme zwischen dem Neptun von
Athen und dem römischen Marc Aurel. Dabei hat
Fiedler das spätantike Reiterbild auf dem Capitol
in aufrichtiger Bewunderung mehrmals in Vorder-
und Seitenansicht gezeichnet und die pralle Bau-
chung der breiten Formen in ihrem vollen Im-
petus ausgekostet. Einst übte der französische Klas-
sizist Falconet, der Meister des Reiterdenkmals
Peters des Großen in Petersburg, bittere Kritik an
dem Pferde des Marc Aurel, das ihm weder wahr
noch stilgerecht vorkam, was damals Anton Raphael
Mengs zu einer leidenschaftlichen Verteidigung des
Reiterbildes veranlaßte. Der heutige Bildhauer sieht
in dem Marc Aurel, der das Vorbild so vieler Beiter-
denkmäler in allen Ländern geworden ist, vor allem
die plastische Gespanntheit der Formlagerung und
den großen Wurf des Umrisses.
Es ist ein weiter Weg von diesen nachbildenden
Zeichnungen antiker Bildwerke zu einer Verwirk-
lichung plastischen Lebens, die jenen alten Werken
verwandt oder gleichgestimmt wäre, und niemand
wünscht, daß uns aus der Bewunderung für das
Griechische eine neue klassizistische Nachahmung
alter Formen beschert würde. Möglich aber er-
scheint, daß die Bildhauer, die die Klassik nicht
mehr als Zuchtrute und Formzwang der Schule ab-
lehnen, durch das Geschaffene hindurch das Ur-
sprüngliche künstlerischer Schöpfung in all seinem
Duft des Dichterischen, Sinnenhaften, Mythischen
und Natürlichen aufdecken können und die Leben-
digkeit, die sie in der alten Kunst finden, für ihr
eigenes Wirken fruchtbar machen.
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