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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 53.1937-1938

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Vom Wesen der geprägten Form: eine Betrachtung über Meisterschaft, Schule und Nachahmung
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https://doi.org/10.11588/diglit.16486#0249

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Rembrandt. Uferweg

gehalt erleben können. Es sei deshalb dem Auge
zum Eindringen in solches Verständnis eine Hilfe
gegeben durch die Möglichkeit des \7ergleichens.
Die zweite Zeichnung, aus dem Kreise Rembrandts,
scheint auf den ersten Blick ähnliche Zeichen zu
verwenden wie der Meister. Aber wir wollen uns
nicht mit dem ersten Blick genügen lassen, sondern
eingehend vergleichen. Wir betrachten den Weg:
er ist hier ein flaches Band, von festen Strichen
eingefaßt, im Mittelgrund ,,auseinandergebrochen".
Seine festen Grenzstriche haben nur eine ganz ge-
ringe Form-Bedeutung: sie vermögen der Form
des Weges nicht mehr zu geben als zwei harte
Bogen, aber nichts von innerer Bewegtheit, nichts
von Struktur, fast nichts von Licht — und damit
auch keine höhere Räumlichkeit. Nicht anders ist
es mit den Strichen, die vom Weg zum Hang füh-
ren: sie bleiben Federstriche, die nicht mehr Form-
bedeutung haben wie ein einfacher Bogen; sie
haben keine „Zeichen-Kraft", sie vermögen das Pa-
pier nicht zu verwandeln in eine Schau bewegter
Form und Lichtheit wie die zauberhaften Zeichen
Rembrandts. Desgleichen die Pflanzenbündel über
dem Weg: sie bleiben ganz dürftige Strichzeich-
nung von Blättern und Büscheln, ohne jenes wirk-
lich Malerische, mit dem Rembrandts Striche das
Ufer und den Zaun zu höchstem farbigem Leben
erwecken. Weiterhin ist der Umriß des Gebüsches
hinter dem Baum rechts fast ohne Formgehalt:
deshalb bleibt das Gebüsch ohne Struktur, ohne
Tiefe, eine grobe Kulisse.

In den Bäumen ist verhältnismäßig am meisten
Form und auch eine gewisse Farbigkeit. Aber ver-
gleichen wir schließlich den Durchblick links mit
der Mitte von Rembrandts Blatt, so sehen wir dort
— um die beiden hinter dem Zaun stehenden Figu-
ren herum — den größten Reichtum von Ton-
werten : die Lichtstreifen auf dem hellen Sandweg,
das im Licht sich wölbende Buschwerk rechts, die
hellbeschienenen und die beschatteten Stämme:
dieser Tonreichtum wirkt das Erlebnis lichterfüll-
ter Räumlichkeit. Was geben dagegen die festen
Grenzstriche des Bodens und Weges, die dunklen
Streifen der Stämme auf dem anderen Blatt an
Reichtum des Lebens von Form und Farbe? Die-
ses Blatt hat mit Rembrandt nichts gemein als
das Äußerlichste des technischen Mittels. Es ist
deshalb nicht „Schule" im guten Sinne, sondern
bloße Nachahmung.

Was Schule im eigentlichen Sinne bedeuten kann:
das Aufnehmen der künstlerischen Schöpfung des
Meisters und das Ausprägen seiner Schätze in die
kleinere, aber echte Münze der an künstlerischer
Kraft bescheideneren Persönlichkeit, das zeigen
Zeichnungen von Meistern wie Afaes oder Philips
Köninck. Von letzterem sei deshalb eine schöne Land-
schaftszeichnung hier angeschlossen, aus deren Stri-
chen wieder jenes geheimnisvolle Leben erwacht, das
in der zweiten Zeichnung fast ganz schweigt, jenes
künstlerische Eigenleben der Form, das Zeichnung
erst über das stoffliche Abbilden hinaus erhebt zu
Gestaltung, zu bildender Kunst. E.K.

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