1955 erhielt, dann wird das Leben nach der Regel
und nach der Schnur unterbrochen, dann werden
die Landschaften Deutschlands und Italiens aufge-
sucht, an denen sich der Maler Leidl bestärkt, und
man kann ihn dann irgendwo in Italien treffen mit
einem dicken Paket voller Zeichnungen und Bilder,
das er, so schwer es ist, stolz wie eine Erntegabe mit
sich führt.
Indes die ironischen Zeichnungen gewissermaßen
als eine Lebensfunktion eines münchnerischen Ma-
lers angeschaut werden müssen, nähern sich die be-
schreibenden, notierenden und im Wortsinn be-
zeichnenden Zeichnungen dem Kern des maleri-
schen Daseins, dem Bild. Insbesondere bei Leidl
verhält es sich so. Das Allgemeine und das Beson-
dere der städtischen oder ländlichen Physiognomie
wird da angepackt, Licht und Schatten werden
planvoll verteilt, die Zeichnung kann schon als ein
Gerüst für ein Bild angeschaut werden. Sie ist als
Kunstgattung nicht streng in sich beschlossen, ihre
Entwicklung zum Bild hin bleibt offen. Häufig
werden Zeichnungen mit leichten Farben aus dem
reinen graphischen Zustand herausgenommen und
in einen Schwebezustand zwischen Graphik und
Bild übergeführt. Auch finden sich Bilder, denen
man es ansieht, daß sie auf dem Grund und Funda-
ment eines zeichnerischen Planes entstanden sind,
daß sie sich als malerisch ausgefüllte Zeichnungen
gern zu erkennen geben. Denn, das läßt sich aus
Leidls Werk lesen, wenn in Dingen der Kunst im-
mer wieder neuen Schritten und Spuren Aufmerk-
samkeit gezollt werden muß, dann darf man sich
nicht allzu fest an die Begriffe binden. Auch ist das
Bild schließlich im Zentrum des malerischen Ge-
müts so liebevoll beheimatet, daß die Zeichnung,
wenn auch selbständig behandelt, als Stufe und
Sockel für das Bild zu dienen bereit sein muß.
Der Anblick des Bildes verschlingt dann freilich das
zeichnerische Gerüst. Auf dem „Mainfeld" streben
Straßen und Wege zueinander, sammeln in großen
Kreisgefügen die Kraft des Bildes; kleine Zäune,
Alleen und Stakete begleiten die Wege und unter-
scheiden sie malerisch; Häuschen oder Bäume sind
als Interpunktionen anzutreffen. Entlang den Stra-
ßen zieht die Beweglichkeit, dazwischen ruhen die
Felder. Ein Bild, das sein Kleinteiliges gefällig
darbietet und dabei die große Anordnung doch mit
Überlegenheit in der Waage hält. Das zeichnerische
Gerüst ist keine platte, zweckdienliche Einrichtung,
es ist die Aufnahme der organischen Präger eines
solchen Landschaftswesens. Das Terrain vague, die
Beete, die sich ineinanderstecken, die Häuschen, die
zufällig durcheinandergepurzelt sind, das Ge-
schiebe, das die Stadt vor sich her schwemmt, hat
Leidl immer wieder zur Beschreibung gereizt, viel-
leicht auch deswegen, weil es vergänglich ist, weil
die gereinigten Städte von morgen derlei nicht
mehr werden haben wollen. Telegraphenstangen
und Schlote, die einmal vor der Malerei als eine
zukünftig nicht mehr zu umgehende Fatalität sich
aufrichteten, sind für Leidl nicht einmal mehr Ge-
genwart, mit der man inzwischen vertraut wurde.
Er schaut sie als romantische Requisiten an, eis
Einrichtungen, die schon wieder die Patina der
Poesie aufgenommen haben. Ein kleines maleri-
sches Essay über diesen Gegenstand findet man im
rechten oberen Eck eines Gartenbildes, wo ein
Schornstein und ein Starenkogel von der unmerk-
lich nachhelfenden Perspektive in eine gleichwer-
tige Nachbarschaft gerückt werden, wobei der Ma-
ler uns freilich mit sanftem malerischem Zwang
von der Liebenswürdigkeit des Schornsteins über-
zeugt, indem er ihn hinter einem saftigen, pflanz-
lichen Busch so anbringt, daß er von der Natur be-
hutsam aufgenommen und assimiliert wird. Leidl
hat einmal eine Gruppe roter Güterwagen so fried-
lich und weidend verteilt, als hätte er eine Schar
von Rindern als Gegenstand vor sich gehabt. Wie
eine Filmkamera wechselt er aus der weiten Ein-
stellung, die das T\ allen der Hügel, die Zirkel der
Straßen, die Ordnung von italienischen Plätzen
überschaut, hinüber auf die intime nahe Einstel-
lung, die nur einen kleinen Gartenausschnitt mi t
spritziger Blumenbuntheit abschildert. Vielleicht
stellt eine primitive, vierpfostige Pergola zwischen
den schäumenden Blüten und trägt auf einem ihrer
Pfosten eine kokette Heckenrose, nicht anders, als
sie von einem Mädchen hinter dem Ohr getragen
würde. Die Landschaft, der Stadtrand und der be-
blumte Wuchergarten sind der Kern seiner Ma-
lerei, darum sich Figurenstücke, Porträts und Alle-
gorien in geringerer Zahl gruppieren und jeweils
auf ihre Art von den landschaftlichen Kenntnissen,
vom blumigen Wuchern oder von aufgebrochenen,
reizvollen Unordnungen des Stadtrandes in mehr
oder weniger übertragenem Sinn profitieren.
Die Bewegung, in die der junge Maler hineinge-
zogen ist, kreist über die Malerei hinaus. Leidl hat
stattlichen Anteil genommen an den neuartigen
Aufträgen, die vom Maler eine dienende, dekora-
tive Anwendung des Malens erwarten. Fresken an
Außenwänden, Innenausmalungen, Deckenbema-
lungen, Zierentwürfe aller Art, vor allem für die
YV ehrmacht und hier wieder vor allem für die Luft-
waffe wurden Leidl angetragen, und so vertritt er
sich nicht nur mit Bildern in den Museen von Mün-
chen, Berlin und anderen Sammlungen, sondern
auch in Kasernen, Fliegerhorsten und an öffent-
lichen Bauten, wo er das Schmückende und Ausstat-
tende, sowohl in seiner feierlichen Gestalt als auch,
wenn es ziemlich war, mit der Lleiterkeit des „Ju-
gend"-Satirikers anzubringen wußte.
Man stellt sich das Dasein eines Malers zu einfach
vor, wenn man meint, daß ein Maler ein Mann sei,
der Bilder macht und damit gut. Das Malerdasein
zerlegt sich vor der Betrachtung in Schichten, die
vom Jahr und vom Tag geschoben werden, wie die
Zeiger der astronomischen Uhren. Aber alle solche
Bewegung hat nicht nur das in die Weite Gehende
und das Austeilende, sie hat auch ihre sammelnden
und einheimsenden Eigenschaften. Denn sie muß
immer zugutekommen der Malerei, rund um die
und für die jene Bewegungen überhaupt in Bewe-
gung gehalten werden.
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und nach der Schnur unterbrochen, dann werden
die Landschaften Deutschlands und Italiens aufge-
sucht, an denen sich der Maler Leidl bestärkt, und
man kann ihn dann irgendwo in Italien treffen mit
einem dicken Paket voller Zeichnungen und Bilder,
das er, so schwer es ist, stolz wie eine Erntegabe mit
sich führt.
Indes die ironischen Zeichnungen gewissermaßen
als eine Lebensfunktion eines münchnerischen Ma-
lers angeschaut werden müssen, nähern sich die be-
schreibenden, notierenden und im Wortsinn be-
zeichnenden Zeichnungen dem Kern des maleri-
schen Daseins, dem Bild. Insbesondere bei Leidl
verhält es sich so. Das Allgemeine und das Beson-
dere der städtischen oder ländlichen Physiognomie
wird da angepackt, Licht und Schatten werden
planvoll verteilt, die Zeichnung kann schon als ein
Gerüst für ein Bild angeschaut werden. Sie ist als
Kunstgattung nicht streng in sich beschlossen, ihre
Entwicklung zum Bild hin bleibt offen. Häufig
werden Zeichnungen mit leichten Farben aus dem
reinen graphischen Zustand herausgenommen und
in einen Schwebezustand zwischen Graphik und
Bild übergeführt. Auch finden sich Bilder, denen
man es ansieht, daß sie auf dem Grund und Funda-
ment eines zeichnerischen Planes entstanden sind,
daß sie sich als malerisch ausgefüllte Zeichnungen
gern zu erkennen geben. Denn, das läßt sich aus
Leidls Werk lesen, wenn in Dingen der Kunst im-
mer wieder neuen Schritten und Spuren Aufmerk-
samkeit gezollt werden muß, dann darf man sich
nicht allzu fest an die Begriffe binden. Auch ist das
Bild schließlich im Zentrum des malerischen Ge-
müts so liebevoll beheimatet, daß die Zeichnung,
wenn auch selbständig behandelt, als Stufe und
Sockel für das Bild zu dienen bereit sein muß.
Der Anblick des Bildes verschlingt dann freilich das
zeichnerische Gerüst. Auf dem „Mainfeld" streben
Straßen und Wege zueinander, sammeln in großen
Kreisgefügen die Kraft des Bildes; kleine Zäune,
Alleen und Stakete begleiten die Wege und unter-
scheiden sie malerisch; Häuschen oder Bäume sind
als Interpunktionen anzutreffen. Entlang den Stra-
ßen zieht die Beweglichkeit, dazwischen ruhen die
Felder. Ein Bild, das sein Kleinteiliges gefällig
darbietet und dabei die große Anordnung doch mit
Überlegenheit in der Waage hält. Das zeichnerische
Gerüst ist keine platte, zweckdienliche Einrichtung,
es ist die Aufnahme der organischen Präger eines
solchen Landschaftswesens. Das Terrain vague, die
Beete, die sich ineinanderstecken, die Häuschen, die
zufällig durcheinandergepurzelt sind, das Ge-
schiebe, das die Stadt vor sich her schwemmt, hat
Leidl immer wieder zur Beschreibung gereizt, viel-
leicht auch deswegen, weil es vergänglich ist, weil
die gereinigten Städte von morgen derlei nicht
mehr werden haben wollen. Telegraphenstangen
und Schlote, die einmal vor der Malerei als eine
zukünftig nicht mehr zu umgehende Fatalität sich
aufrichteten, sind für Leidl nicht einmal mehr Ge-
genwart, mit der man inzwischen vertraut wurde.
Er schaut sie als romantische Requisiten an, eis
Einrichtungen, die schon wieder die Patina der
Poesie aufgenommen haben. Ein kleines maleri-
sches Essay über diesen Gegenstand findet man im
rechten oberen Eck eines Gartenbildes, wo ein
Schornstein und ein Starenkogel von der unmerk-
lich nachhelfenden Perspektive in eine gleichwer-
tige Nachbarschaft gerückt werden, wobei der Ma-
ler uns freilich mit sanftem malerischem Zwang
von der Liebenswürdigkeit des Schornsteins über-
zeugt, indem er ihn hinter einem saftigen, pflanz-
lichen Busch so anbringt, daß er von der Natur be-
hutsam aufgenommen und assimiliert wird. Leidl
hat einmal eine Gruppe roter Güterwagen so fried-
lich und weidend verteilt, als hätte er eine Schar
von Rindern als Gegenstand vor sich gehabt. Wie
eine Filmkamera wechselt er aus der weiten Ein-
stellung, die das T\ allen der Hügel, die Zirkel der
Straßen, die Ordnung von italienischen Plätzen
überschaut, hinüber auf die intime nahe Einstel-
lung, die nur einen kleinen Gartenausschnitt mi t
spritziger Blumenbuntheit abschildert. Vielleicht
stellt eine primitive, vierpfostige Pergola zwischen
den schäumenden Blüten und trägt auf einem ihrer
Pfosten eine kokette Heckenrose, nicht anders, als
sie von einem Mädchen hinter dem Ohr getragen
würde. Die Landschaft, der Stadtrand und der be-
blumte Wuchergarten sind der Kern seiner Ma-
lerei, darum sich Figurenstücke, Porträts und Alle-
gorien in geringerer Zahl gruppieren und jeweils
auf ihre Art von den landschaftlichen Kenntnissen,
vom blumigen Wuchern oder von aufgebrochenen,
reizvollen Unordnungen des Stadtrandes in mehr
oder weniger übertragenem Sinn profitieren.
Die Bewegung, in die der junge Maler hineinge-
zogen ist, kreist über die Malerei hinaus. Leidl hat
stattlichen Anteil genommen an den neuartigen
Aufträgen, die vom Maler eine dienende, dekora-
tive Anwendung des Malens erwarten. Fresken an
Außenwänden, Innenausmalungen, Deckenbema-
lungen, Zierentwürfe aller Art, vor allem für die
YV ehrmacht und hier wieder vor allem für die Luft-
waffe wurden Leidl angetragen, und so vertritt er
sich nicht nur mit Bildern in den Museen von Mün-
chen, Berlin und anderen Sammlungen, sondern
auch in Kasernen, Fliegerhorsten und an öffent-
lichen Bauten, wo er das Schmückende und Ausstat-
tende, sowohl in seiner feierlichen Gestalt als auch,
wenn es ziemlich war, mit der Lleiterkeit des „Ju-
gend"-Satirikers anzubringen wußte.
Man stellt sich das Dasein eines Malers zu einfach
vor, wenn man meint, daß ein Maler ein Mann sei,
der Bilder macht und damit gut. Das Malerdasein
zerlegt sich vor der Betrachtung in Schichten, die
vom Jahr und vom Tag geschoben werden, wie die
Zeiger der astronomischen Uhren. Aber alle solche
Bewegung hat nicht nur das in die Weite Gehende
und das Austeilende, sie hat auch ihre sammelnden
und einheimsenden Eigenschaften. Denn sie muß
immer zugutekommen der Malerei, rund um die
und für die jene Bewegungen überhaupt in Bewe-
gung gehalten werden.
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