Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Dengler, Georg [Hrsg.]
Kirchenschmuck: Sammlung von Vorlagen für kirchliche Stickereien, Holz- & Metallarbeiten & Glasmalereien — 5.1859

DOI Heft:
1. Heft
DOI Artikel:
Unser Programm
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.18468#0010

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2

zu erblicken. Nicht mehr die Theorie, sondern die Praris ist die größte Feindin der alten
Kunst und ihrer Nachahmung. Wir fürchten sogar keinen ernstlichen Widerspruch, wenn wir
behaupten, daß die Bildungsgesetze der mittelalterlichen Kunst nur in den Ausnahmsfällen ihr
Recht behaupten, für die Regel aber noch die moderne Weise ihre Herrschaft übt. Hier gilt es,
bis in das kleinste Detail kirchlicher Utensilien hinab eine Kunstrichtung praktisch durchzuführen.

Sollen stch die christlichen Kunstvereine diesen Forderungen entziehen? Sollen sie sich
des Einstusses erwehren, den zu gewinnen oder zu verlieren nur in Lhrer Hand liegt? Die
Liebe zum christlichen Alterthum blos der Curiosität halber, aus Liebhaberei oder Mode zu
pstegen >— die Zeit ist vorüber. An den Katholiken wenigstens stellt die Gegenwart ernstere
Anforderungen. Er, der alleinige Erbe der ganzen kirchlichen Vorzeit mit ihrer Liturgie und
ihrer Kunst hat heute noch dieselben Bedürsnisse nach neuen Bildungen kirchlicher Ntensilten,
wie seine Vorväter. Jhm ist die Alterthumskunde zwar ein theurer Gegenstand, aber nicht
Selbstzweck, sondern nur der Schlüssel, um die Geheimnisse der Vergangenheit zum Nutzen
der Gegenwart zu erschließen: Naturgemäß endet jede geregelte archäologische Forschung mit
diesem praktischen Resultate. Wir verhehlen nicht, daß wir dw Mangclhaftigkeit des klerikalen
Nnierrichts unserer Universltäten und geistlichen Bildungsanstalten in diesem Punkte tief be-
klagen, und wenn wir dieser Klage hier wiederholt Ausdruck geben, so hoffen wir von Den-
jenigen, die der Vorwurf treffen könnte, nicht zuletzt Anerkennung zu stnden. Es ist die höchste
Zeit, daß die christlichen Kunstvereine wissenschaftlich und praktisch ergänzend ein-
treten, wenn nicht, so werden sie über kurz oder lang verlassen stehen, hülflos und keineHülfe
bietend, in ihren Ruinen höchstens den übrigen Alterthumsvereinen gleichend. Wer glauben
möchte, die jetzige Einrichtung und Wirksamkeit dieser Vereine habe diese Bahn schon energisch
genug begonnen, der kennt unseres Erachteus weder die Gegenwart, noch die Zukunft derselben.

Zu diesem Ziele mitzuhelfen, tst jeder Verein berufen, und wenn wtr es Namens des
Rottenburger Vereins unternehmen, hier in diesen Blätrern vorherrschend der praktischen Seite
uns zuzuwenden, so schwächen wir nicht den Bestand des gemeinschaftlichen Vereins für Deutsch-
land, sondern wir stärken ihn; wir lockern nicht das schwache Vand, das die Einzelvereine
umschlingt, sondern wir festtgen es durch Zuführung neuer, selbst über die Grenzen des deut-
schen Vaterlandes hinausgehender Kräfte.

Die Redaktion dieser Blätter liegt in den Händen zweier Priester. Sie treten mit tech-
nischen Rathschlägen dem Techniker gegenüber. Dieser Umstand, in den Augen der Meisten
ein Mangel, festigt unser Vertrauen. Die Enttäuschungen, die der ausschließlichen Herrschaft
der Technik in Sachen kirchlicher Kunstgebilde folgen müsfen, stnd nach einer gewissen Ent-
nüchterung allmälig in gehöriger Stärke eingetreten. Die Zahl der unbrauchbaren, profanen,
geist- und zweckwidrigen Kirchen und Kircheneinrichtungen, Altäre, Gefäße und Gewänder
wächsr mit jedem Tage. Geist und Zweck der kirchlichen Kunstschöpfungen liegt im Glauben
und Gottesdienst, kurz gesagt in deren Verkörperung, der Liturgie und den liturgischen Vor-
schriften. Geist und Zweckdienlichkeit der Kunst schöpft sich aus der Kirche, und wenn stch die
Technik, selbst die vollendetfte, diesem Vorrecht der Lehrmeisterin feindselig oder auch uur fremd
zeigt, so muß kommen, was gekommen ist — die ,/Künstler" und Handwerker müssen den Vor-
wurf der Neologie stillschweigend, weil gerechtfertigt, hinnehmen. Der Liturgiker muß den
Techniker ergänzen, theils um den Geist der alten Kunst, die im Glauben und für den Glauben
gebildet hat, zu verstehen, theils um den neuen Schöpfungen den Abgrund des Zerwürfnisses
mit der Kirche zu verschließen. *

* Ausführlichex haben wir uns hierüber ausgesprochen in der Vorrede x. IV. zu „Formenlehre
 
Annotationen