40
Das christliche Europa.
Das öffentliche Leben
der germanischen Stämme erinnert auf der einen Seite an die Zu-
stände der kaukasischen Völkerschaften, auf der anderen aber zeigt es
Erscheinungen, die wir bereits da angetroffen haben, wo die acrive
Rasse als Ueberwinderin einer passiven Urbevölkerung auftritt.
Vor allen Dingen ist zu beachten, daß die germanischen Stämme,
welche die Ufer der Ostsee besetzten und von da aus, dem Laufe der
ausmündenden Flüsse stromauf folgend, in das Innere drangen, be-
reits eine passive Urbevölkerung vorgefunden haben. Darauf deuten
die Sagen, sowohl von den Zwergen, als von den Riesen, welche
beide als stammverschieden von den Helden dargestellt werden und
ihnen bald helfend, meist aber hemmend zur Seite stehen, auch mit
den Drachen und anderen Unthieren in Beziehung bleiben. Sie er-
liegen jedoch den Helden und diese gehen als Sieger aus den Kämpfen
mit jenen hervor und machen sich dieselben dienstbar zur Herbei-
schaffung der Products der Erde, der Bearbeitung und Pflege der-
selben, Geschäfte, welche für die Helden sich nicht ziemten. Die
passive Rasse bildete demnach auch hier den Kern der dienenden Be-
völkerung oder der Leute und der Knechte, die an den Boden ge-
bunden und mit diesem Eigenthum der Eroberer geworden waren.
Die Führer der activen Einwanderer, die Fürsten, vercheilten
demnach nach Verdienst und Gunst das eroberte Land an ihre Be-
gleiter, die Freien, aus denen sich allgemach der Adel entwickelte,
der sich durch ausgebreiteten Güterbesitz, mehrere Geschlechter hindurch
dauernven Kriegsruhm und Bereicherung durch Kriegsbeute befestigte;
seit dem fränkischen Zeitalter trat er vorzugsweise in den Besitz der
Hofämter.
Der Freie besaß Grund und Boden erblich und konnte ihn
willkürlich veräußern. Der Freie erschien in der Volksversammlung,
hatte die Pflicht und das Recht die Waffen zu tragen und bei An-
griffs- und Vertheidigungskriegen im Heere zu dienen. Sie waren
die In gen ui des Tacitus. Sie trugen langes Haar.
Die Leute, die Libertini des Tacitus, die Liti der Franken
waren nur wenig mehr als Knechte (Tacitus, Germ. 25.), harren im
Hause eine geringe, im Staate gar keine Stimme. Sie waren an
den Boden gebunden, trugen auch keine Waffen und waren ursprüng-
lich passiver Nasse. An sie vertheilte der Herr jährlich die Aecker
zur Bestellung.
Die Knechte endlich, zu denen auch der Freie herabsinken
konnte, wenn er seinen Leib auf einen Glückswurf gesetzt, waren
persönliches Eigenthum ihrer Herren, ohne dessen Willen sie nicht
heirathen dursten. Sie konnten durch Kriegsgefangenschaft, wie durch
Kauf und Schenkung erworben werden. Ihr Leben war in der
Hand des Herrn, und ein Verbrechen, das nach salischem Gesetz der
Das christliche Europa.
Das öffentliche Leben
der germanischen Stämme erinnert auf der einen Seite an die Zu-
stände der kaukasischen Völkerschaften, auf der anderen aber zeigt es
Erscheinungen, die wir bereits da angetroffen haben, wo die acrive
Rasse als Ueberwinderin einer passiven Urbevölkerung auftritt.
Vor allen Dingen ist zu beachten, daß die germanischen Stämme,
welche die Ufer der Ostsee besetzten und von da aus, dem Laufe der
ausmündenden Flüsse stromauf folgend, in das Innere drangen, be-
reits eine passive Urbevölkerung vorgefunden haben. Darauf deuten
die Sagen, sowohl von den Zwergen, als von den Riesen, welche
beide als stammverschieden von den Helden dargestellt werden und
ihnen bald helfend, meist aber hemmend zur Seite stehen, auch mit
den Drachen und anderen Unthieren in Beziehung bleiben. Sie er-
liegen jedoch den Helden und diese gehen als Sieger aus den Kämpfen
mit jenen hervor und machen sich dieselben dienstbar zur Herbei-
schaffung der Products der Erde, der Bearbeitung und Pflege der-
selben, Geschäfte, welche für die Helden sich nicht ziemten. Die
passive Rasse bildete demnach auch hier den Kern der dienenden Be-
völkerung oder der Leute und der Knechte, die an den Boden ge-
bunden und mit diesem Eigenthum der Eroberer geworden waren.
Die Führer der activen Einwanderer, die Fürsten, vercheilten
demnach nach Verdienst und Gunst das eroberte Land an ihre Be-
gleiter, die Freien, aus denen sich allgemach der Adel entwickelte,
der sich durch ausgebreiteten Güterbesitz, mehrere Geschlechter hindurch
dauernven Kriegsruhm und Bereicherung durch Kriegsbeute befestigte;
seit dem fränkischen Zeitalter trat er vorzugsweise in den Besitz der
Hofämter.
Der Freie besaß Grund und Boden erblich und konnte ihn
willkürlich veräußern. Der Freie erschien in der Volksversammlung,
hatte die Pflicht und das Recht die Waffen zu tragen und bei An-
griffs- und Vertheidigungskriegen im Heere zu dienen. Sie waren
die In gen ui des Tacitus. Sie trugen langes Haar.
Die Leute, die Libertini des Tacitus, die Liti der Franken
waren nur wenig mehr als Knechte (Tacitus, Germ. 25.), harren im
Hause eine geringe, im Staate gar keine Stimme. Sie waren an
den Boden gebunden, trugen auch keine Waffen und waren ursprüng-
lich passiver Nasse. An sie vertheilte der Herr jährlich die Aecker
zur Bestellung.
Die Knechte endlich, zu denen auch der Freie herabsinken
konnte, wenn er seinen Leib auf einen Glückswurf gesetzt, waren
persönliches Eigenthum ihrer Herren, ohne dessen Willen sie nicht
heirathen dursten. Sie konnten durch Kriegsgefangenschaft, wie durch
Kauf und Schenkung erworben werden. Ihr Leben war in der
Hand des Herrn, und ein Verbrechen, das nach salischem Gesetz der