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Das christliche Europa.
Ein Erzeugniß des gegenwärtigen Jahrhunderts ist in Europa
das Proletariat,
das wir daher unter den Bestandtheilen, aus welchen der Staat zu-
sammengesetzt ist, einer nähern Betrachtung unterwerfen müssen. Das
Proletariat ist aus den Kindern der besitzlosen städtischen Bevölkerung
erwachsen. Arme Leute hat es zu allen Zeiten gegeben, die wenig-
sten in der Zeit vor der französischen Revolution auf dem Lande;
die Herren der Leibeignen und Hörigen mußten für den Unterhalt
derselben sorgen. Als diese Verhältnisse nach dem siebenjährigen
Kriege milder wurden, lieferten Dorfbewohner, die als Dienstboten
in die Städte kamen, den ersten Stamm zu der besitzlosen Elaste, die
bis dahin dort nur vurch verarmte Bürger und deren Söhne vertreten
war. Allein die Städte waren es noch im Stande, vermöge der in
ihnen vorhandenen alten Stiftungen, der Spitäler und Armenhäuser
für den Unterhalt der ihrigen zu sorgen. Verarmungen waren aber
trotz der Kriege und Feuersbrünste noch nicht so häufig, da die Hand-
arbeit noch genügenden Verdienst und deshalb auch innere Befrie-
digung brachte. Zudem waren die Menschen genügsamer in Woh-
nung und Nahrung und die Kleiderstoffe besser und dauerhafter, da-
her auch billiger als gegenwärtig; öffentliche Orte waren selten und
nur für die höheren Elasten der Gesellschaft.
Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts erhob sich unter den
Wohlhabenden die Sucht nach unmäßiger Steigerung des Wohlstan-
des, man nahm die mechanischen Wissenschaften zu Hülfe und wen-
dete das Maschinenwesen zu schneller und wohlfeiler Production von
Waaren, zunächst Kleiderstoffen, an, wozu die in den Colonien reich-
lich erzeugte Baumwolle den nächsten Anreiz gab. Es entstanden
die Fabriken, zuerst in England, dann in Frankreich, der Schweiz
unv Deutschland, zuerst in Städten, dann auch auf dem Lande. Man
brauchte Hände, und es fanden sich solche in den verarmten, beson-
ders aber in den ungeschickten Handwerkern der großen Städte, da
die Fabrikanten bei dem anfangs sehr bedeutenden Gewinn hohe
Löhne zahlen konnten. Der Fabrikarbeiter brachte nun den größten
Theil des Tages in der Gesellschaft seiner Mitarbeiter zu, an der
einförmigen Beschäftigung konnte er keine Freude finden, die Maschine
fertigte die Arbeit; die Langeweile war nothwendige Folge, und so
sehen wir denn den Fabrikarbeiter am Sonnabend, wenn er seinen
Lohn erhalten, den Orten des Vergnügens zueilen, ehe er sich zu
seiner Familie begiebt. Die unter den Fabrikanten eintretende Con-
currenz mehrte die Zahl der Arbeiter, die allgemach aus ihren Kin-
dern sich reerutirte. Napoleon's Continentalsperre hob das franzö-
sische und deutsche Fabrikwesen rasch empor und mehrte so die Zahl
der Arbeiter. Mit Napoleon's- Sturz und der Wiedereröffnung der
deutschen Flüsse und Häfen stellten sich zum ersten Male die Nach-
Das christliche Europa.
Ein Erzeugniß des gegenwärtigen Jahrhunderts ist in Europa
das Proletariat,
das wir daher unter den Bestandtheilen, aus welchen der Staat zu-
sammengesetzt ist, einer nähern Betrachtung unterwerfen müssen. Das
Proletariat ist aus den Kindern der besitzlosen städtischen Bevölkerung
erwachsen. Arme Leute hat es zu allen Zeiten gegeben, die wenig-
sten in der Zeit vor der französischen Revolution auf dem Lande;
die Herren der Leibeignen und Hörigen mußten für den Unterhalt
derselben sorgen. Als diese Verhältnisse nach dem siebenjährigen
Kriege milder wurden, lieferten Dorfbewohner, die als Dienstboten
in die Städte kamen, den ersten Stamm zu der besitzlosen Elaste, die
bis dahin dort nur vurch verarmte Bürger und deren Söhne vertreten
war. Allein die Städte waren es noch im Stande, vermöge der in
ihnen vorhandenen alten Stiftungen, der Spitäler und Armenhäuser
für den Unterhalt der ihrigen zu sorgen. Verarmungen waren aber
trotz der Kriege und Feuersbrünste noch nicht so häufig, da die Hand-
arbeit noch genügenden Verdienst und deshalb auch innere Befrie-
digung brachte. Zudem waren die Menschen genügsamer in Woh-
nung und Nahrung und die Kleiderstoffe besser und dauerhafter, da-
her auch billiger als gegenwärtig; öffentliche Orte waren selten und
nur für die höheren Elasten der Gesellschaft.
Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts erhob sich unter den
Wohlhabenden die Sucht nach unmäßiger Steigerung des Wohlstan-
des, man nahm die mechanischen Wissenschaften zu Hülfe und wen-
dete das Maschinenwesen zu schneller und wohlfeiler Production von
Waaren, zunächst Kleiderstoffen, an, wozu die in den Colonien reich-
lich erzeugte Baumwolle den nächsten Anreiz gab. Es entstanden
die Fabriken, zuerst in England, dann in Frankreich, der Schweiz
unv Deutschland, zuerst in Städten, dann auch auf dem Lande. Man
brauchte Hände, und es fanden sich solche in den verarmten, beson-
ders aber in den ungeschickten Handwerkern der großen Städte, da
die Fabrikanten bei dem anfangs sehr bedeutenden Gewinn hohe
Löhne zahlen konnten. Der Fabrikarbeiter brachte nun den größten
Theil des Tages in der Gesellschaft seiner Mitarbeiter zu, an der
einförmigen Beschäftigung konnte er keine Freude finden, die Maschine
fertigte die Arbeit; die Langeweile war nothwendige Folge, und so
sehen wir denn den Fabrikarbeiter am Sonnabend, wenn er seinen
Lohn erhalten, den Orten des Vergnügens zueilen, ehe er sich zu
seiner Familie begiebt. Die unter den Fabrikanten eintretende Con-
currenz mehrte die Zahl der Arbeiter, die allgemach aus ihren Kin-
dern sich reerutirte. Napoleon's Continentalsperre hob das franzö-
sische und deutsche Fabrikwesen rasch empor und mehrte so die Zahl
der Arbeiter. Mit Napoleon's- Sturz und der Wiedereröffnung der
deutschen Flüsse und Häfen stellten sich zum ersten Male die Nach-