Der Verkehr der Staaten untereinander.
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Mannichfaltigkeit wegen oft Anlaß zu Betrug und Streit. Die
Obrigkeit beaufsichtigt daher dasselbe und stellt Normalmaaße auf. So
sah man noch im Monat Marz des Jahres 1851 in der Hausflur
des Rathhauses zu Meißen zwei alte steinerne Getraidemaaße,
welche auf gemauerter Unterlage feststanden. Im Untertheile der
halbkugelförmigen Maaße war ein Loch angebracht, durch welches das
abgemessene Getraide in den Sack gelassen werden konnte. An an-
dern Orten stehen in den Rathhäusern hölzerne oder metallne Nor-
malmaaße, nach welchen alle andern Maaße des Ortes geaicht werden
müssen. *)
Der Verkehr der Staaten untereinander
beruht auf den Bündnissen und Vertragen, die meist Gegenstand reif-
licher Ueberlegung und langer Verhandlung, theils durch die Gewalt
des einen oder des anderen Staates ins Leben gerufen worden sind.
Die altgermanischen Völker suchten sich durch unwegsame Grän-
zen vor den Feindseligkeiten der Nachbarn zu schützen. Die alten
Staaten, vor allem Aegypten, schlossen sich möglichst von dem Ver-
kehr mit den Nachbarn aus und es wurde durch seine Lage ebenso
unterstützt wie das chinesische Reich, das noch heutiges Tages das
System des Alleinstehens und der größten Selbständigkeit befolgt.
Europa, namentlich das christliche Westeuropa, ist aber in eine
große Anzahl kleiner Saaten zersplittert, deren Interessen sich oft kreuz-
ten und die daher ost in Hellem Unfrieden neben einander lebten. In
früher Zeit behaupteten nun der Papst und der Kaiser eine schein-
bare Oberherrschaft über alle westlicheuropäisch-christlichen Staaten, mit
Polen und Ungarn. Zuerst bildeten sich aber in Italien, dann in
Deutschland eine große Anzahl kleiner staatlich selbständiger Körper
aus, während Frankreich sich immer mehr zu einem gleichartigen
Ganzen gestaltete.
Aus diesen Verhältnissen nun und aus dem Streben nach
Selbständigkeit erwuchs allgemach jene eigenthümliche Politik, die
im wesentlichen immer auf die Gewalt der Waffen gegründet ist, ob-
schon namentlich die Gelehrten ein identisches oder philosophisches
Völkerrecht construirt haben, das sich zu dem Staatenverkehr verhält,
wie die Sittenlehre zu dem Handelsverkehr auf den offnen Märkten
der Europäer. Ein jeder Staat verlangt für sich Selbständigkeit nach
Innen, namentlich hat seit dem Jahre 1830 Ludwig Philipp von
Frankreich für sich und andere das Recht der Nichtintervention
in Anspruch genommen. Demnächst nimmt jeder Staat einen be-
stimmten Rang neben und mit den übrigen ein, der sich nach dem
Alter seines Bestehens, vornehmlich aber nach seinem Umfang und
seiner Macht richtet. Zu einer bestimmten, allgemein anerkannten
*) Die Meißner Maaße waren im Monat April 1851 verschwunden.
IX. 24
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Mannichfaltigkeit wegen oft Anlaß zu Betrug und Streit. Die
Obrigkeit beaufsichtigt daher dasselbe und stellt Normalmaaße auf. So
sah man noch im Monat Marz des Jahres 1851 in der Hausflur
des Rathhauses zu Meißen zwei alte steinerne Getraidemaaße,
welche auf gemauerter Unterlage feststanden. Im Untertheile der
halbkugelförmigen Maaße war ein Loch angebracht, durch welches das
abgemessene Getraide in den Sack gelassen werden konnte. An an-
dern Orten stehen in den Rathhäusern hölzerne oder metallne Nor-
malmaaße, nach welchen alle andern Maaße des Ortes geaicht werden
müssen. *)
Der Verkehr der Staaten untereinander
beruht auf den Bündnissen und Vertragen, die meist Gegenstand reif-
licher Ueberlegung und langer Verhandlung, theils durch die Gewalt
des einen oder des anderen Staates ins Leben gerufen worden sind.
Die altgermanischen Völker suchten sich durch unwegsame Grän-
zen vor den Feindseligkeiten der Nachbarn zu schützen. Die alten
Staaten, vor allem Aegypten, schlossen sich möglichst von dem Ver-
kehr mit den Nachbarn aus und es wurde durch seine Lage ebenso
unterstützt wie das chinesische Reich, das noch heutiges Tages das
System des Alleinstehens und der größten Selbständigkeit befolgt.
Europa, namentlich das christliche Westeuropa, ist aber in eine
große Anzahl kleiner Saaten zersplittert, deren Interessen sich oft kreuz-
ten und die daher ost in Hellem Unfrieden neben einander lebten. In
früher Zeit behaupteten nun der Papst und der Kaiser eine schein-
bare Oberherrschaft über alle westlicheuropäisch-christlichen Staaten, mit
Polen und Ungarn. Zuerst bildeten sich aber in Italien, dann in
Deutschland eine große Anzahl kleiner staatlich selbständiger Körper
aus, während Frankreich sich immer mehr zu einem gleichartigen
Ganzen gestaltete.
Aus diesen Verhältnissen nun und aus dem Streben nach
Selbständigkeit erwuchs allgemach jene eigenthümliche Politik, die
im wesentlichen immer auf die Gewalt der Waffen gegründet ist, ob-
schon namentlich die Gelehrten ein identisches oder philosophisches
Völkerrecht construirt haben, das sich zu dem Staatenverkehr verhält,
wie die Sittenlehre zu dem Handelsverkehr auf den offnen Märkten
der Europäer. Ein jeder Staat verlangt für sich Selbständigkeit nach
Innen, namentlich hat seit dem Jahre 1830 Ludwig Philipp von
Frankreich für sich und andere das Recht der Nichtintervention
in Anspruch genommen. Demnächst nimmt jeder Staat einen be-
stimmten Rang neben und mit den übrigen ein, der sich nach dem
Alter seines Bestehens, vornehmlich aber nach seinem Umfang und
seiner Macht richtet. Zu einer bestimmten, allgemein anerkannten
*) Die Meißner Maaße waren im Monat April 1851 verschwunden.
IX. 24