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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 7.1896

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Meyer, Alfred Gotthold: Der Wettbewerb um die Bronzethüren des Mailänder Domes
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https://doi.org/10.11588/diglit.5774#0059

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Speciellen mit den Steinportalen des Brentano'schen
Projektes." Erst in zweiter Linie nennt sie den ab-
soluten Kunstwert des Bildschmucks, in dritter die
technische Fertigkeit. Die beiden Eeliefs großen' Maß-
stabes waren daher auch nur als Ergänzung der die
Gesamtkomposition kennzeichnenden Entwürfe verlangt,
welche die Konkurrenten teils in kleineren, plastischen,
teils in gezeichneten Skizzen beibrachten. Muzäo und
Sozxi allein haben in dankenswerter Weise auch diesen
Teil der Aufgabe in der Größe der Originale behandelt.

In der That beruht die Eigenart dieser Konkurrenz
weit mehr auf dem kompositioneilen Teil der Auf-
gabe, als auf dem Bildschmuck an sich. Hier muss zur
Geltung kommen, was einst die Arbeit Brentano's, und
mit ihr dann ja auch die gegenwärtige Konkurrenz ver-
anlasst hat, was der Schöpfung Brentano's den Sieg
brachte: die stilistische Sprache des Domes selbst, inner-
halb welcher die heutige Front einen syntaktischen Fehler
und formalen Missklang bedeutet. Brentano's Fassade
will, soll und wird denselben beseitigen, und die eigen-
artige Melodie, welche den ganzen Bau durchtönt, mit
harmonischen Akkorden eröffnen. Auch der Schmuck
ihres Hauptportales also muss mit ihren Motiven in Ein-
klang stehen.

Daher war die bei dieser Konkurrenz gestellte Auf-
gabe ganz anderer Natur, als diejenige, welche den
modernen Monumentalbildhauer am häufigsten zu be-
schäftigen pflegt, vollends in Italien, dem Land der
Denkmäler, wo jetzt bald jede Stadt und jedes Städtchen
ein Monument Viktor Emanuel's und Garibaldis be-
sitzen wird, und die Friedhöfe sich in einen Statuenwald
verwandeln. Kein Denkmal, kein Mal zum Gedächtnis an
eine Person, oder an ein Ereignis galt es frei zu schaffen,
in selbstgewählten Formen, sondern es erging an die
Künstler das Herrscherwort der christlich-kirchlichen Kunst
mit seiner zweitausendjährigen Tradition, die an der zu
schmückenden Stätte selbst länger als ein halbes Jahr-
tausend ihres Amtes waltet.

Wer mit diesem Gedanken die Ausstellungsräume
betrat, war enttäuscht. Nicht die Kunst des Mailänder
Domes gab dort den Ton an, sondern lediglich die
unserer eigenen Zeit. Nicht viel anders haben die meisten
Konkurrenten ihre Aufgabe erfasst, als einen Wett-
bewerb um ein beliebiges Denkmal, für dessen ornamen-
talen Teil allgemeingiltig der gotische Stil vorge-
schrieben war. — Die „Gotik" des Mailänder Domes
aber ist eine selbständige. Mit seiner kunsthistorischen
Einordnung in das gotische Stilschema mühte und müht
man sich vergeblich, indem man ihn bald mehr in die
Reihe der nordischen, der französischen und deutschen,
bald mehr in die der italienischen „gotischen" Archi-
tektur rückt. In Wahrheit gehört er keiner von ihnen
ausschließlich an, er ist vielmehr ein künstlerisches
Individuum, dessen Eigenart am besten nur aus seinen
persönlichen Lebensverhältnissen abzuleiten ist. Dauernd

haben die letzteren zu Kompromissen zwischen der
nordischen Gotik und dem italienischen Geschmack ge-
zwungen, dauernd aber erwuchs aus diesen eine selb-
ständige, in sich ebenfalls folgerichtige, stilbildende
Macht, die bei allen Schwankungen zuletzt stets den
Ausschlag gab — bis zum Beginn der Fassade, bis zu
den Tagen Pellegrini's, wo man beschloss, denselben
Bau im Stil der eigenen Zeit, des Barock, zu vollenden,
für welchen selbst ein Bramante die der Renaissance
sonst so verhasste Gotik als einzig richtige Ausdrucks-
weise bezeichnet hatte. — In diese individuelle Gotik
des Mailänder Domes also musste sich der Schöpfer der
neuen Thüren einleben.

Diese Forderung wird im Grunde nur von einem
einzigen der eingesandten Entwürfe, von dem des Archi-
tekten Muzio, der sich mit dem Bildhauer Sozzi verbunden
bat, erfüllt, und auch nur in einzelnen Details, für
welche besonders die plastische Dekoration der süd-
lichen Domsakristei Motive zu teilweise recht glück-
licher Verwertung bot. Leider ist an diesem Projekt
die, wie die Begleitschrift bezeugt, sorgsam durchdachte
Gesamtanordnung, wenigstens in der jetzigen Durch-
bildung, wenig harmonisch: das mächtige die ganze
Breite des Thürflügels füllende Mittelbild mit den vier
kleineren quadratischen Bildreliefs und dem Rahmenwerk
organisch und ungesucht zu verbinden, ist den Künstlern
bei aller Mühe nicht geglückt. Auch der augenfällige
Versuch, zwischen der Mailänder Trecento-Gotik und
dem Ralimenmotiv der Ghiberti'schen Thüren des Floren-
tiner Baptisteriums einen Kompromiss zu schließen, bleibt
ohne eine völlig befriedigende Lösung. Ebensowenig hat
Quadrclli sein die ganze untere Hälfte der Thürfiäche
füllendes Hauptrelief mit dem Rahmen recht in Einklang
zu setzen vermocht; bei ihm aber vermißt man bereits
auch jene stilistische Sprache des Domes. Beide Pro-
jekte haben die unverhältnismäßig starke Betonung eines
Hauptreliefs gemeinsam, und weisen dadurch am präg-
nantesten auf den Punkt hin, an welchem auch die
meisten anderen Konkurrenten gescheitert sind. Sie
alle wählen eine scharf durchgeführte Felderteilung, in
dem sie die Thürfläche durch profllirte Stege in einzelne.
Kompartimente zerlegen: bald mit bald ohne Betonung
des „Unten" und des „Oben", bald mit bald ohne selb-
ständige Umrahmung am Rand, bald mit bald ohne Aus-
zeichnung der Mitte, bald ferner durch eine mehr oder
minder reiche gotische Architektur, bald nur durch ein
sich gleichmäßig ausspannendes Netzwerk. Das letztere,
aus schlicht quadratischen oder aus den wohlkekannten
Rauten-Vierpass-Rahmen bestehend, wird überall seine
traditionelle Zweckmäßigkeit bewähren, wo man sich
begnügt, es getreu nach den traditionellen Mustern der
italienischen Kunst anzuwenden, für welche die Portale
des Florentiner Baptisteriums die berühmtesten Vorbilder
bieten. Aber es gestattet dann keine Betonung einer
einzelnen Stelle, einer einzelnen Scene. Gleichwertig
 
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