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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 7.1896

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Schölermann, Wilhelm: Die internationale graphische Ausstellung im Künstlerhause zu Wien, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5774#0085

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Die internationale graphische Ausstellung im Künstlerhause zu Wien. II.

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handen, das leider ziemlich tief und unauffällig gehängt
wurde.

Ein ganzes, hellbeleuchtetes Seitenkabinett nehmen
die zahlreichen amerikanischen Holzschnitte ein, welche
von der Weltausstellung in Chicago stammen und dem
Wiener Verein von der Generaldirektion der kgl. preu-
ßischen Museen überlassen worden sind. Es ist hier so
ziemlich alles zusammengebracht, was technisches Raffi-
nement auf die Spitze zu treiben vermag. Man erkennt
die Quellen, welche die amerikanischen Publikationen
und Zeitschriften, wie Harper's u. a. so wertvoll machen
an Illustrationen, die unsere Bewunderung herausfordern.
Es ist die enorme allgemeine Höhe des technischen
Handwerks im reproduktiven Sinne. Aber auch die Ori-
ginalarbeit ist achtunggebietend und man weiß nicht,
welche man herausgreifen soll. Von denen, die mir auf-
fielen, nenne ich W. M. Aikman, Harry Davison, mit
einer New Yorker Nachtstraßenscene, John W. Kr/ms
mit einer dramatisch bewegten Schlachtenscene aus dem
amerikanischen Secessionskriege, den im Reproduktiven
wie im Original gleich tüchtigen Frank Freneh, ohne dass
Nichtgenannte hinter diesen an Können zurückständen.
Die fabelhaft fein gearbeiteten Motten und Nacht-
schmetterlinge von einer Dame, Anna Botsford-Comstock,
erreichen so ziemlich die Grenze des Möglichen, während
dort, wo die Weichheit bis zum Schemenhaften getrieben
ist, wie bei Francis King und II7. B. Closson oder eine
photographische Treue sich findet, die charakterlos wird,
wie bei W. F. Cleaves, da geht die Individualität in der
Technik unter und man hat das Gefühl, schließlich Kunst-
stücken aber keiner Kunst mehr gegenüber zu stehen.

England, glückliches Land! Seine Meereswogen,
die es rings umspielen, machen Herz und Sinn gesund
und sichern ihm eine selbstbestimmende Kunstsprache,
geschützt vor zu vielen Fremdwörtern, einen eigen-
artigen reinen, schönen Stil. Es lebt so viel germa-
nischer Ernst neben Formenschönheit, so viel Zartheit
verbindet sich mit Ursprünglichkeit und eigenem Sehen
und verhaltener Kraft in seinen Künstlern! Unter ihnen
erscheint diesmal ein Schotte, der, statt wie die übrigen
Glasgower Boys das Heil in der Farbe, in der male-
rischen Zeichnung sucht. D. J. Cameron's landschaft-
liche und genrehafte Radirungen werden die Anerkennung
jedes Kunstfreundes beanspruchen dürfen. Die Land-
schaft dominirt überhaupt bei den englischen Gästen, wie
bei Olivier Hall, Alfred Hartley, R. Goff and dem kraft-
vollen Edward Slocombe. Figürliches und Interieurs
bringen A. Williams und William Strang und „Alles
in Allem-' bringt der Süddeutsche, der eine zweite Hei-
mat in England gefunden hat: Professor Hubert Her-
komer. Es würde diese universelle Persönlichkeit kaum
decken, wollte man sie nur einen Maler nennen. Es
ist der Künstler schlechtweg, der aus ihm spricht, ob er
nun malt, sticht, sein dekoratives Theater oder sein
Heim in Bushey zum Kunstwerk erhebt, das Kunsthand-

werk anregt oder Vorträge hält: immer ist es das
Universalziel, das er im Auge hat: die Verbindung der
Kunst mit dem Leben. Man kennt seine genugsam be-
wunderten Porträts, mit ihrem innerlichen Leben und
ihrer Überzeugungskraft. Als Techniker tritt er hier
mit seiner aus dem von den Italienern früher geübten
(und von ihm und den Amerikanern aufgefrischten)
Monotyp hervorgegangenen galvanographischen Behand-
lung auf: ein Verfahren, das, mittelst Pinsel und Pinsel-
stiel, Ballen, Lappen oder dem Finger, einer Malerei auf
der Kupferplatte gleichkommt, galvanisch ausgesetzt und
dann gedruckt. Außer den Bildnissen zeigen noch
zwei stürmische Motive mit absterbenden Baumriesen
(The Dying Monarch) den heroisch-großsehenden Land-
schafter.

Hei der englischen Abteilung, und mit Recht, ist
auch der in Paris lebende James Tissot. Er hat in
Frankreich gearbeitet, aber er ist Engländer geblieben.
So fühlt kein Franzose. Verliert das (dem Cyklus des mo-
dern behandelten „L'enfant prodigue" angehörende) eigen-
artig stimmungsstarke Blatt, wo der Jüngling mit seinem
älteren Begleiter in ein japanisches Theehaus mit den
tanzenden Bajaderen geraten ist, den Hauptreiz durch die
rötliche Beleuchtung, so sprechen dafür die andern um so
deutlicher die gedankenreiche Tiefe des Künstlers aus,
die in den Originalgemälden zu Tage trat. Wundervoll
sind auch die beiden Blätter: Reverie (von der Wiener
Akademie gekauft) und La portique de la galerie
nationale ä Londres. Auf den Stufen der Treppe vorne
steht ein Mädchen, auf der Grenze zwischen Kind und
Weib, in Hut und Mantel gehüllt ihr Auge blickt
nachdenklich ins Weite,- so maienfrisch und stark, so
aufrichtig. Oben auf der Plattform zwischen den Säulen
des Portiens steht ein zartgebauter, langbärtiger Mann,
eine echt englische Erscheinung und neben ihm ein
anderes Mädchen. Sie haben zwischen sich ein Skizzen-
buch, dem sie ihre ganze ernste Aufmerksamkeit schenken.
Man muss das im Original beobachtet haben, um die
feine Psychologie, die in Tissot's Wiedergabe liegt, voll
nachfühlen zu können.

Unter den Londonern stellt auch James Mac Neil
Whistler aus, diesmal die venezianischen Radirungen,
welche, nach den ausgestellten berühmten „Twenty-Six",
seit dem Jahre 1879 entstanden sind. Einen besseren
Ausdruck als der, womit ihn Fred- Wedmore bezeichnet
hat, als den „einfach geschicktesten Wildling der Ra-
dirung'1 wüsste man wohl kaum zu finden. Dass er
zwischen den Engländern ausstellt, ist insofern interessant,
als die Amerikaner meistens ein scharf betontes poli-
tisches Selbstgefühl auch gegenüber ihren englischen
Vettern entwickeln, andernteils auch darum, weil gerade
Whistler's scharfe Persönlichkeit ihn künstlerisch von
seinen Landsleuten trennt, die alle andern Eigenschaften
für die Kunst mitbringen, nur nicht viel Individualität.
In seinem Schwiegervater Francis Seymour Haden steckt
 
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