Oswin Hempel, Dresden
Die Ladenstraße auf der Deutschen Werkbund-Ausstellung Köln 1914
richtet. In den alljährlichen Versammlungen drückte
man sich die Hand, besprach die Erfolge und Wider-
stände, freute sich der ungestörten inneren Überein-
stimmung und ging, im Glauben gestärkt, zur Arbeit
zurück.
Wie sich der Wirkungskreis der Einzelnen allmählich
erweiterte, so wuchs auch die öffentliche Bedeutung des
Bundes und seiner kulturellen Forderungen. Eine erheb-
liche Summe einheitlicher Arbeit war geleistet und lag
bereit zur bewußten Eingliederung in die große Wirt-
schaft des deutschen Volkes. In vorsichtiger, gründlicher
Weise knüpfte die Bundesleitung nun die vielen Fäden
der Werkbundarbeit in das Räderwerk des deutschen
Volkshaushaltes ein. Nicht minder erhebend wie da-
mals, als in den Köpfen und Herzen die Begeisterung
zu erglühen begann, waren nun die Zeiten der ersten
Erfüllung, da die Qualitätserzeugung als Faktor in die
Bilanz unseres Nationalvermögens eingestellt werden
konnte und zu dessen Vermehrung ernstlich beitragen
sollte.
Der erste Abschnitt war vollendet: die bisher so wirk-
sam gewesenen Gedanken waren Allgemeingut des deutschen
Volkes geworden und der Werkbund trat in sein Mannes-
alter ein. Der Abschied von der Jugend vollzieht sich
manchen unbemerkt, viele empfinden ihn als schmerzlichen
Verlust der unbefangenen Reinheit des Gefühlslebens. Die
Künstler wirken in ihrer eigenen Welt, in der sie unum-
schränkt sich selbst gebieten. Sie empfinden es fast
schmerzlich, ihre Schöpfungen hinauszugeben in ein Ge-
triebe, in dem sich der Eigenwert des, neben tausend
andere gestellten, Einzelerzeugnisses notwendigerweise
verringern muß, um zur erhöhten Geltung der Masse bei-
zutragen. Viele Künstler träumen von stiller inbrünstiger
Arbeit, die nur die höchste Leistung vor die Augen der
Beschauer stellen will, — solche Arbeitsform ist in der
gewerblichen Produktion, die das ihr übergebene Er-
zeugnis des Reizes des Allerpersönlichsten mehr oder
weniger entkleiden muß, entweder nicht möglich oder
sie erfordert ein sehr langsames Tempo und fast über-
menschliche Kräfte, sie schließt eine rationelle Wirt-
schaftlichkeit aus. Künstler mit so »heiligen« Zielen
erzeugen im Grunde »hohe Kunst«, die im ersten Ge-
brause des von wirtschaftlicher Notwendigkeit der Selbst-
behauptung angefeuerten Industriekampfes untergehen
müßten und nur in einer Periode höchster nationaler
Reife und Sättigung in ihn eingefügt werden können
und dürfen.
Oder — hätte die Werkbundleitung einen Fehler be-
gangen und die Arbeit ihrer Mitglieder zu frühe an
die großen Aufgaben der Volkswirtschaft geknüpft?
Hat sie vielleicht die Gefahr heraufbeschworen, daß das
mühsam Errungene im Widerstreite materieller Inter-
essen vernichtet werde? Diese Gefahr erschien manchen
übergroß, als Hermann Muthesius unlängst den zweiten
und größeren Abschnitt der Werkbundaufgaben ent-
wickelte, als er schilderte, wie deutsche Volkswirtschaft
nicht ohne Weltwirtschaft zu denken wäre, wie das
deutsche Erzeugnis auf dem Weltmarkt neben den Er-
zeugnissen der vielen anderen Völker nur dann werde
bestehen können, wenn es seine besondere (typische)
Eigenart mit aller Deutlichkeit herausarbeite ..., solche
Probleme vertragen sich schwer mit der Gedankenwelt
einer Künstlerwerkstatt und mußten in ihrer nackten
Wissenschaftlichkeit gar schreckhaft wirken, denn in-
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Die Ladenstraße auf der Deutschen Werkbund-Ausstellung Köln 1914
richtet. In den alljährlichen Versammlungen drückte
man sich die Hand, besprach die Erfolge und Wider-
stände, freute sich der ungestörten inneren Überein-
stimmung und ging, im Glauben gestärkt, zur Arbeit
zurück.
Wie sich der Wirkungskreis der Einzelnen allmählich
erweiterte, so wuchs auch die öffentliche Bedeutung des
Bundes und seiner kulturellen Forderungen. Eine erheb-
liche Summe einheitlicher Arbeit war geleistet und lag
bereit zur bewußten Eingliederung in die große Wirt-
schaft des deutschen Volkes. In vorsichtiger, gründlicher
Weise knüpfte die Bundesleitung nun die vielen Fäden
der Werkbundarbeit in das Räderwerk des deutschen
Volkshaushaltes ein. Nicht minder erhebend wie da-
mals, als in den Köpfen und Herzen die Begeisterung
zu erglühen begann, waren nun die Zeiten der ersten
Erfüllung, da die Qualitätserzeugung als Faktor in die
Bilanz unseres Nationalvermögens eingestellt werden
konnte und zu dessen Vermehrung ernstlich beitragen
sollte.
Der erste Abschnitt war vollendet: die bisher so wirk-
sam gewesenen Gedanken waren Allgemeingut des deutschen
Volkes geworden und der Werkbund trat in sein Mannes-
alter ein. Der Abschied von der Jugend vollzieht sich
manchen unbemerkt, viele empfinden ihn als schmerzlichen
Verlust der unbefangenen Reinheit des Gefühlslebens. Die
Künstler wirken in ihrer eigenen Welt, in der sie unum-
schränkt sich selbst gebieten. Sie empfinden es fast
schmerzlich, ihre Schöpfungen hinauszugeben in ein Ge-
triebe, in dem sich der Eigenwert des, neben tausend
andere gestellten, Einzelerzeugnisses notwendigerweise
verringern muß, um zur erhöhten Geltung der Masse bei-
zutragen. Viele Künstler träumen von stiller inbrünstiger
Arbeit, die nur die höchste Leistung vor die Augen der
Beschauer stellen will, — solche Arbeitsform ist in der
gewerblichen Produktion, die das ihr übergebene Er-
zeugnis des Reizes des Allerpersönlichsten mehr oder
weniger entkleiden muß, entweder nicht möglich oder
sie erfordert ein sehr langsames Tempo und fast über-
menschliche Kräfte, sie schließt eine rationelle Wirt-
schaftlichkeit aus. Künstler mit so »heiligen« Zielen
erzeugen im Grunde »hohe Kunst«, die im ersten Ge-
brause des von wirtschaftlicher Notwendigkeit der Selbst-
behauptung angefeuerten Industriekampfes untergehen
müßten und nur in einer Periode höchster nationaler
Reife und Sättigung in ihn eingefügt werden können
und dürfen.
Oder — hätte die Werkbundleitung einen Fehler be-
gangen und die Arbeit ihrer Mitglieder zu frühe an
die großen Aufgaben der Volkswirtschaft geknüpft?
Hat sie vielleicht die Gefahr heraufbeschworen, daß das
mühsam Errungene im Widerstreite materieller Inter-
essen vernichtet werde? Diese Gefahr erschien manchen
übergroß, als Hermann Muthesius unlängst den zweiten
und größeren Abschnitt der Werkbundaufgaben ent-
wickelte, als er schilderte, wie deutsche Volkswirtschaft
nicht ohne Weltwirtschaft zu denken wäre, wie das
deutsche Erzeugnis auf dem Weltmarkt neben den Er-
zeugnissen der vielen anderen Völker nur dann werde
bestehen können, wenn es seine besondere (typische)
Eigenart mit aller Deutlichkeit herausarbeite ..., solche
Probleme vertragen sich schwer mit der Gedankenwelt
einer Künstlerwerkstatt und mußten in ihrer nackten
Wissenschaftlichkeit gar schreckhaft wirken, denn in-
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