aufs neue berücksichtigen:
das heißt verändern und
ewig neu und jung er-
halten.
Wenn das alles über-
sehen oder aus Prüderie
verschwiegen wird, kann
an eine Herrschaft über
die Mode nicht gedacht
werden.
Eine »deutsche Mode«
könnte man also in ge-
wissem Sinne einen in-
neren Widerspruch nennen,
wenn man nämlich das
Deutsche so versteht, wie
wir es als unsere guten
Eigenschaften verstehen —
als solide, gründlich, be-
scheiden, ernst. Dann ist
das alles gerade das Gegen-
teil von dem, was die
Mode erfordert. Ein Be-
weis dafür: In den Tagen
der vaterländischen Er-
hebung hat man jetzt in
Deutschland auf offener
Straße geschlitzte Röcke zu-
sammengesteckt oder auf-
gerissen, elegante Damen
wegen ihrer Kleidung be-
lästigt und dergleichen
mehr. Es ist das ein Be-
weis dafür, daß nach der Ansicht vieler Leute Deutschtum
und großer Ernst mit eleganter Mode nichts zu tun haben
können.
Aber haben diese Eiferer recht? Sind sie nicht kurz-
sichtige Übertreiber und Verkenner ihrer eigenen Volks-
gemeinschaft, kleindenkende, engherzige Leute? Es wird
doch niemand als deutsche Eigenschaft behaupten wollen,
daß man hierzulande unerotisch sei oder es zu werden
wünsche. Höchstens ist man bei uns primitiver in der
Alfred Fischer, Essen. Das Haus Heinersdorff auf der Deutscheu
Werkbund-Ausstellung Köln 1914
Erotik und nicht so offen
wie in Paris. Will man
also in dieser Erkenntnis
und im Interesse des deut-
schen Wirtschaftslebens
doch die Mode beherrschen,
dann muß aus diesem Ar-
beitszweig das allzu Ernste
ausgeschaltet werden: die
leichtesten, psychisch-be-
weglichsten, erotisch offen-
sten Charaktere müssen
sich bei der Erschaffung
der Moden vereinigen (und
sie tun das schon, soweit
sie Erfolge haben wollen),
um die Mode keck und
frei zu erschaffen. Man
versteht nun um so eher,
daß es sich nach dieser
Lage der Dinge — wie bei
der Liebe auch — nur um
ein Zusammenwirken des
Mannes mit der Frau han-
deln kann. Die Frau muß
die Mode tragen und lan-
cieren, der Mann muß sie
erfinden und zwar aus Ero-
tik für die Frau heraus, aus
Variationsbedürfnis oder
der spezifisch - erotischen
Betonung. Anders geht
es eben nicht.
Wir werden also wählen müssen zwischen der — wohl
nur irrtümlich als »deutsch« bezeichneten — Form rein
materieller Zweckmäßigkeit, und dann für uns allein im
Inlande schaffen, oder dem Capriccio von ideell-psychischer
Zweckmäßigkeit, worin uns die Französin und ihr Mode-
schöpfer ohne Zweifel bisher überlegen waren. Wollen
wir diese Abhängigkeit abschütteln, so brauchen wir nur
der Wahrheit dieser Zusammenhänge klar ins Auge zu
sehen. Aber auch nur dann werden wir das Ziel erreichen.
DEUTSCHE WERKBUND--AUSSTELLUNG CÖLN
GESAMTPLAN DER AUSSTELLUNO
1914
BAULICHKIIIT1-M AU[- DHU AUSSTELLUNG
COLN,APRlL 191**
VHHLAG RUDOU: MOSSfc, CÖIN.BERUN
— 48 —
das heißt verändern und
ewig neu und jung er-
halten.
Wenn das alles über-
sehen oder aus Prüderie
verschwiegen wird, kann
an eine Herrschaft über
die Mode nicht gedacht
werden.
Eine »deutsche Mode«
könnte man also in ge-
wissem Sinne einen in-
neren Widerspruch nennen,
wenn man nämlich das
Deutsche so versteht, wie
wir es als unsere guten
Eigenschaften verstehen —
als solide, gründlich, be-
scheiden, ernst. Dann ist
das alles gerade das Gegen-
teil von dem, was die
Mode erfordert. Ein Be-
weis dafür: In den Tagen
der vaterländischen Er-
hebung hat man jetzt in
Deutschland auf offener
Straße geschlitzte Röcke zu-
sammengesteckt oder auf-
gerissen, elegante Damen
wegen ihrer Kleidung be-
lästigt und dergleichen
mehr. Es ist das ein Be-
weis dafür, daß nach der Ansicht vieler Leute Deutschtum
und großer Ernst mit eleganter Mode nichts zu tun haben
können.
Aber haben diese Eiferer recht? Sind sie nicht kurz-
sichtige Übertreiber und Verkenner ihrer eigenen Volks-
gemeinschaft, kleindenkende, engherzige Leute? Es wird
doch niemand als deutsche Eigenschaft behaupten wollen,
daß man hierzulande unerotisch sei oder es zu werden
wünsche. Höchstens ist man bei uns primitiver in der
Alfred Fischer, Essen. Das Haus Heinersdorff auf der Deutscheu
Werkbund-Ausstellung Köln 1914
Erotik und nicht so offen
wie in Paris. Will man
also in dieser Erkenntnis
und im Interesse des deut-
schen Wirtschaftslebens
doch die Mode beherrschen,
dann muß aus diesem Ar-
beitszweig das allzu Ernste
ausgeschaltet werden: die
leichtesten, psychisch-be-
weglichsten, erotisch offen-
sten Charaktere müssen
sich bei der Erschaffung
der Moden vereinigen (und
sie tun das schon, soweit
sie Erfolge haben wollen),
um die Mode keck und
frei zu erschaffen. Man
versteht nun um so eher,
daß es sich nach dieser
Lage der Dinge — wie bei
der Liebe auch — nur um
ein Zusammenwirken des
Mannes mit der Frau han-
deln kann. Die Frau muß
die Mode tragen und lan-
cieren, der Mann muß sie
erfinden und zwar aus Ero-
tik für die Frau heraus, aus
Variationsbedürfnis oder
der spezifisch - erotischen
Betonung. Anders geht
es eben nicht.
Wir werden also wählen müssen zwischen der — wohl
nur irrtümlich als »deutsch« bezeichneten — Form rein
materieller Zweckmäßigkeit, und dann für uns allein im
Inlande schaffen, oder dem Capriccio von ideell-psychischer
Zweckmäßigkeit, worin uns die Französin und ihr Mode-
schöpfer ohne Zweifel bisher überlegen waren. Wollen
wir diese Abhängigkeit abschütteln, so brauchen wir nur
der Wahrheit dieser Zusammenhänge klar ins Auge zu
sehen. Aber auch nur dann werden wir das Ziel erreichen.
DEUTSCHE WERKBUND--AUSSTELLUNG CÖLN
GESAMTPLAN DER AUSSTELLUNO
1914
BAULICHKIIIT1-M AU[- DHU AUSSTELLUNG
COLN,APRlL 191**
VHHLAG RUDOU: MOSSfc, CÖIN.BERUN
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