Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 26.1915

DOI Artikel:
Mhe, Herbert: Sachlichkeit: zu den Bronzearbeiten von Rich. L. F. Schulz, Alwin Völkel und Alfred Schröter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3871#0073

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
sollte. Es gibt schon manchen, der sich wieder so
nennt, mit Stolz so nennt. Zu Blütezeiten des Hand-
werks gab es kein zusammengesetztes charakterloses
»Kunstgewerbe« weder wörtlich, noch in der Idee.
Man sei endlich eingedenk, daß der Begriff wie das
Wort eine Hilfskonstruktion gewesen ist, die ihren
Zweck ehrenvoll erfüllt hat: zur Ethik des Gewerb-
lichen, zur Qualität, zur vollendeten Arbeit zurück-
zuführen. »Kunstgewerbe« ist ein ideologischer Be-
griff! Und nur schwer enthalte ich mich hier des
näheren Hinweises auf die unverantwortlichen Be-
mühungen, diese Ideologie zu lehren, wie es auf
manchen Abteilungen mancher Kunstgewerbeschulen
geschieht....

Sach-Ethik! Das ist vielleicht ein etwas merk-
würdiges Wort, das manchem nicht ganz verständlich
sein wird, wie er über den Gedanken einer Ethik
des Gewerbes den Kopf schüttelt. Wer sein Hand-
werk auf rein kaufmännischer Basis treibt, wird nichts
von einer handwerklichen Ethik wissen, vielmehr
seine kaufmännische Moral, die bekanntlich recht weit
gezogen sein kann, ausüben, und die im Grunde auf
der »goldenen« Forderung beruht: Großer Verdienst!
Nach ihr sind für ihn alle Leitsätze gebildet. Da das
Publikum, man kann ruhig sagen, nicht eine blasse
Ahnung von Echtheit, Reinheit, Güte — kurz von
einer Ethik des Dinges hat, sondern billig kaufen
will, am Schein sich noch ebenso begnügt, wie zu
der Zeit gemalter Holzmaserung und »Marmorierung«,
so folgt der nur kaufmännische Handwerker und
»nutzt die Sachlage aus«. Nur die Schlichtheit der
Form, weil sie jetzt »modern« ist, muß er geben.
Es ist sehr komisch, obgleich tragisch, den soge-
nannten Schund Formen annehmen zu sehen, deren
Einfachheit doch aus der Betonung der Qualität ent-
standen sind. Man sieht Messingleuchter zu einer
Mark und siebzehn Pfennigen; so gut in der Form,
wie sie ein ausgezeichneter Messingguß besitzt. Sieht
man die Leuchter näher an, so erweist es sich, daß
sie aus ganz dünnem Messingblech gestanzt und
innen mit einer Gipsmasse ausgefüllt sind. Wäre
derartiges auf den Massenvertrieb des Warenhauses
beschränkt, so ginge es an; denn es ist einzusehen,
daß sich nicht ein jeder ziselierte Leuchter kaufen
kann, und es ist doch immerhin ein gewisser erfreu-
licher Fortschritt, wenn die Talmiware wenigstens
nicht mehr in kitschiger Form sich darbietet. Doch
bei Baulieferungen, nach privaten aber auch öffent-
lichen, staatlichen Aufträgen ist solch ein Schund in
den anständigen Formen scheinbarer Qualität, nicht
nur nicht selten, sondern geradezu häufig! Der
Grund liegt darin, daß die Bauleitung die handwerk-
lichen Arbeiten nach kaufmännischen Gebräuchen ver-
gibt: durch Konkurrenz! Sie zwingt dadurch den
Handwerker, der nur sach-ethischen Motiven bei seiner
Arbeit folgen will, sich auf kaufmännische Basis zu
stellen, und sie unterstützt dadurch den Handwerker,
der gar nicht Handwerker ist, sondern Unternehmer!
Der weiß, daß es bei einer Konkurrenzarbeit nur auf
Unterbieten der Konkurrenten, nur auf möglichste
Billigkeit ankommt und die Qualität der Arbeit so-

weit gleichgültig ist, als man ihre durch den herunter-
gedrückten Preis notwendig bedingte Mangelhaftigkeit
nicht sieht. Er erhält den Auftrag, wenn er der
Billigste ist, und liefert etwa eine Lampe, die, im
besten Fall in anständiger Form, gearbeitet ist wie der
messingblecherne Warenhausleuchter zu einer Mark
und siebzehn Pfennigen. Am Ende hängt dann so
ein Ding in einem öffentlichen Gebäude, dessen
Mauern, protzig aus Bruchsteinquadern gemacht, be-
stimmt zu sein scheinen, Jahrhunderte zu überdauern.
Nach gewisser Zeit löst sich der »Beleuchtungskörper«
zufrieden in seine Bestandteile auf und muß »erneuert«
werden!

Mir will scheinen, daß durchaus nicht genügend
auf die Sinnlosigkeit aufmerksam gemacht wird, die
darin liegt, wenn man handwerkliche Aufträge in
kaufmännischer Weise sich vollziehen läßt. Die Form
der Konkurrenz gehört nicht in den handwerklichen
Geschäftsbetrieb, — in dem Sinne, den sie hat: im
kapitalistischen! Unsere Konkurrenzen sind alle kapi-
talistisch geworden; qualitative Konkurrenzen, die
allein im Handwerk Geltung haben können und früher
auch gehabt haben, gibt es nicht mehr. Zu den
Modifizierungen, die der kapitalistische Gedanke so
ungeheuer schädigend in unserer sogenannten Kultur
ausgeübt hat und noch immer in erschreckendem
Anwachsen ausübt, gehört auch diese Erscheinung.
Die Sachethik wird von der skrupelloseren kapi-
talistischen Ethik ersetzt, wie überhaupt fast jegliches
Zielstreben in der Richtung auf den kapitalistischen
Gedanken abgeirrt ist.

Der Umstand, daß das, was wir Kunstgewerbe
nennen, sich heute weniger vor einer schädigenden
kapitalistisch-kaufmännischen Modifizierung behaupten
zu wollen scheint, als im Anfang seiner Bewegung,
hat seinen Sinn in der Veränderung, die das Kunst-
gewerbe durchgemacht hat. Als es die starke künst-
lerische Tendenz besaß, ging es mit seinen Erzeug-
nissen in eine unwirklichere, in eine idealistische und
somit unrationelle Richtung. Zusammen mit dem
starken, unbedingten Enthusiasmus des neuen An-
fangs lag das Ziel — das Gewerbliche künstlerisch
der »absoluten« Kunst gleichzusetzen — weiter von
den realen Gelegenheiten des praktischen Lebens
und ihrer Einflüsse entfernt, als jetzt, — wo es die
aristokratische, künstlerische Individualitätsäußerung
mit einer demokratischeren, sachlich-nüchternen ver-
tauscht hat. Indem das Kunstgewerbe sachlich,
»vernünftiger« wurde, liegt es mehr auf der Ebene
des allgemeinen praktischen Lebens und ist so stark
den Einflüssen ausgesetzt, die, wie wir wissen, fast
ausschließlich kapitalistisch-kaufmännischer Natur sind.

Diesen Einflüssen auf das Gewerbe entgegenzu-
treten, wird erfolgreich nur möglich sein, wenn es
gelingt, den Kapitalismus überhaupt als maßgebenden
Faktor unserer Kultur zu beschränken. Und daran
darf man heute noch zweifeln, ohne Pessimist ge-
scholten zu werden . . .

Übrig bleibt nur, innnerhalb des Handwerks durch
die Kritik »die Fahne hochzuhalten«, — wie das
schon in der Kunst geschieht; denjenigen Handwerker

— 66 —
 
Annotationen