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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 26.1915

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Segmiller, Ludwig: Über Glasmalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.3871#0102

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fläche eindringen, ferner, ob diese in der Hitze steigen oder
fallen. Auch die Abnahme der Hitze darf nur allmählich
erfolgen, weil anderen Falles die im Ofen geborgenen Gläser
springen würden. Nach Beendigung des Brandes muß der
Ofen längere Zeit auskühlen. Nehmen wir alsdann die
Platten heraus, so sind die Farben vollständig mit dem
Glas verschmolzen und könnten höchstens wieder durch
Atzung mit Flußspatsäure entfernt werden. Der Glasmaler
selbst aber wartet mit gespannter Aufmerksamkeit auf das
Offnen des Ofens, kann ihm doch durch ein kleines Ver-
sehen oder durch einen ungünstigen Zufall die Arbeit von
Wochen vernichtet werden. In den letzten Jahren gelangen
auch andere Konstruktionen, z. B. Gasöfen, offene Ofen zur
erfolgreichen Verwendung. Die fertigen Glasstücke werden
dann durch den Glaser verbleit und die Bleiumfassungen
verzinnt. —

Wer die geheimnisvolle farbenfrohe Pracht eines Glas-
gemäldes recht erkennen will, der folge mir beim Morgen-
grauen in eine gotische Kathedrale!

Von spärlichem Lichtglanz schwach am Fuße erleuchtet,
schießen die gerippten Pfeiler in ein mysteriöses Dunkel

auf und scheinen in der Ewigkeit zu verschwinden. Ernst
und ehrfurchtgebietend steigt ihr mächtiger Wald vor uns
auf. Weit, weit vorn aber erglänzt im goldenen Schimmer
der Altar, das Ziel der Gläubigen. Schweigende Dunkelheit
verhüllt die Wände; wir fühlen keine Begrenzung — die
anheimelnde Stille, diese heilige Ruhe kann kein Ende haben.

Doch hier und da und dort sprüht zagend Lichterflimmer
auf, ein Schillern gleichsam zwischen Glanz und Dunkelheit.
Über dem Altar in weiten Höhen erklingt schüchtern eine
Melodie von Farben, ein Orgelton aus weiter Ferne. Auch
links und rechts von uns hebt leises Singen an, dann stärket
werdend wächst es zu mächtigen Akkorden; wir stehen
umrauscht von einer Farbensinfonie — es ist der Tag.

Und auch beim Scheiden grüßt das Licht die heiligen
Hallen. Lange Schatten hüllen den Unterbau des Domes
mit ihrem ruhespendenden Mantel ein; von einer feurigen
Rose durchglüht wird es hell im Oberbau und glänzt und
leuchtet. Das ist das Reich der Geister, der Seligen; die nur
dem frommen Auge sichtbar über den Menschen schweben
und ihre Schritte hüten — die

ecclesia supenia.

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