Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 26.1915

DOI Artikel:
Bosselt, Rudolf: Deutsche Mode: Referat für einen Diskussionsabend im deutschen Lyceumclub in Berlin am 26. Februar 1915
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.3871#0155

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


müssen dafür besonders begabt sein, wie es andere für
Architektur, Malerei oder Plastik sind.

Ist die Mode etwas schwer Faßbares, dann ist das
allem künstlerischen Schaffen innewohnende Intuitive, das
Tasten, unbewußte Greifen, hier besonders entscheidend,
denn es handelt sich nicht um ein Vorausbestimmen dessen,
was sein soll, sondern Vorausahnen, Treffen dessen, was
kommen kann. Das fordert
den Besitz ganz fein empfind-
licher Fühlhörner für das Be-
stimmende der Zeit.

Diese Eigenschaften be-
sitzen die Pariser Modekünstler
in einem so hohen Maße, daß
bisher, von dem letzten und
sehr glücklichen Versuch in
Wien abgesehen, an keiner an-
deren Stelle gewagt wurde,
Mode zu schaffen. Unsere
eigene Reform- und Eigenkleid-
bewegung ist, ich brauche das
nicht näher darzulegen, auf an-
deren Voraussetzungen aufge-
baut und hier nicht anzuführen.

Aber nicht nur die Künstler
besitzt Paris, nicht nur eine in
langer Zeit ausgebildete Organi-
sation aller zusammenwirken-
den Hilfsindustrien, die die
vielen Einzelteile hervorbringen,
die dann zu einem Kostüm,
einer Gemeinsamkeit in Schön-
heit, zusammengefügt werden,
sondern auch das nur dort zu
findende Milieu gesellschaft-
licher Art, in dem Modekünstler
wachsen und Modeschöpfungen
erblühen können.

Nichts ähnlich Günstiges
haben wir bei uns, und so
waren wir restlos abhängig von
Paris. Unsere Modehäuser hol-
ten, darüber trifft sie kein Vor-
wurf, Modelle und Anregungen
von dort. Ihre Aufgabe bestand
nur in der Anpassung an kör-
perliche und Gefühlsbesonder-
heiten ihrer Kundschaft. Unsere
Hilfsindustrien waren nicht
weniger an die Direktiven aus
Paris gebunden; und wenn es
in Berlin und anderen großen
Städten des Reiches auch durch-
aus nicht an gesellschaftlichem
Leben fehlt, in dem Eleganz und
Reichtum zur Entfaltung ge-
langen, so ersetzt das doch
nicht all die besonders gün-
stigen Bedingtheiten für Mode-
einführung und Durchsetzung,
wie sie in Paris bestehen, und wie wir sie aus anderen
Gründen für uns vielleicht nicht einmal wünschen.

Das alles wissen wir, und doch: nun wollen wir die
Mode für uns im eigenen Lande schaffen, und mehr, wir
wollen die Führung in der internationalen Mode erringen.
Denn das gehört zusammen; eine andere als eine inter-
nationale Mode gibt es nicht; außerdem gibt es nur Volks-
trachten, die allmählich aussterben.

€11

Schmiedeeiserne Türe: Entwurf von Lossow & Kühne,

Dresden. Ausführung durch Kunstschlosser

Max Oroßmann, Dresden

Es hat eines äußeren, eines ungeahnten und in seinen
Folgen unübersehbaren Ereignisses bedurft, um diesen
Entschluß zu zeitigen. Vorher gab es nur Wünsche und
Träume oder niederdrückende Empfindungen über eine un-
würdige, aber unabwendbar scheinende Abhängigkeit.

Zunächst stehen wir unter einem Zwang, Paris ist uns
verschlossen, die dort auszugebende Mode auch auf Um-
wegen kaum erreichbar. So
lange dieser Krieg währt, sind
wir auf uns angewiesen, wollten
auch aus freiem Willen nichts
anderes, und wollen nun auch,
daß es nachher so bleibe. Wir
haben das Vertrauen, daß wir
selbständig genug geworden
sind, für uns allein zu sorgen,
daß eine Notwendigkeit für
unsere Abhängigkeit nicht mehr
besteht.

Viele Beziehungen künst-
lerischen Empfangens und auch
Gebens knüpften und knüpfen
uns an Frankreich. In vielem,
hauptsächlich in der Malerei,
waren wir die Lernenden. Aber
in der Architektur und im Kunst-
gewerbe erwarben wir, anderer
und unserer Vergangenheit
gegenüber, eine Selbständigkeit,
die andere nicht besitzen, die
uns an die erste Stelle rückt.
Seit einem halben Jahrhundert
zum ersten Male wieder haben
wir das Regen eigener künst-
lerisch-schöpferischer Kraft ge-
spürt, gesehen, daß wir nicht
immer nur nachzuahmen brau-
chen. Auf diese Kraft gründen
wir unser Vertrauen. Wollten
wir die nicht als Grund aner-
kennen, dann haben wir keinen,
dann wäre der Vorstoß gegen
die französische Mode ein lächer-
licher Akt, ein Bluff.

Wir wissen ja gar nicht,
wieviel geeignete Kräfte für die
besondere Kunst der Mode wir
besitzen. Es war bisher ja un-
möglich, daß sie sich zeigen,
betätigen, entwickeln konnten.
Und unser gesellschaftliches
Leben, das die Voraussetzung
für die Aufnahme der Mode-
schöpfungen bildet? Hat es
ausgereicht, die französische
Mode aufzunehmen, wird es
trotz aller Unterscheidung von
Paris auch hinreichen,die eigene
aufzunehmen. Wir dürfen nur
nicht gleich alles vom ersten
Versuch erwarten. Wir müssen wissen, daß hier Arbeit
und Organisation nötig sind, daß uns die Früchte nur all-
mählich reifen können. —

Zwei Erwartungen werden dem entgegengetragen, was
auf dem Gebiete der Mode entstehen soll. Die eine: die
deutsche Mode als tonangebend für die internationale Mode,
wobei der Nachdruck nicht auf deutsch als einem be-
stimmten Charakter liegt, sondern viel mehr als Ausgabe-

Fl

fr$BSß$

PÜii

Ctagfl

148
 
Annotationen