möchte sogar den Umstand nicht als Beweis für
Lichtwarks Auffassung gelten lassen, daß das Nürn-
berger Rathaus 1521 nach Dürers »gemachtem vi-
sier« inwendig von anderen, ungenannten Nürnberger
Malern ausgemalt ward1).
Es ist schon erwähnt, daß der Begriff des gei-
stigen oder künstlerischen Eigentums früher nicht be-
stand; Beham übernimmt z. B. skrupellos bei seinen
Planetenbüchern Einzelheiten aus Holbeins Totentanz-
bildern und solcher Nachweise ließen sich noch mehr
erbringen. Da diese Entlehnungen nicht als Miß-
brauch galten und nicht verhindert werden konnten,
so versteht es sich leicht, daß aus der Not eine Tu-
gend gemacht und der Entlehnung der Weg geebnet
wurde, eben durch die Ornamentstiche, die nichts
weiter als Vorlage sein wollten. Aber wie sie be-
nutzt, wie sie dem jeweiligen Zweck angepaßt, ver-
ändert, verkürzt, vereinfacht, umgestellt, kompiliert
wurden, das verrät doch eine geringere Spannweite
zwischen dem Ornamentzeichner und dem Hand-
werker, der dieses Ornament anwandte, als sie
zwischen einem Künstler und einem Handwerker nach
unseren Begriffen ausmacht. Wiederum hat das sicher
auch in alter Zeit nicht jeder gekonnt, und wenn
auch mehr gute als schlechte Sachen, die auf der
Grundlage von Ornamentstichen entstanden waren,
erhalten sein mögen, so weist uns das doch darauf
hin, daß die Ornamentstiche zu einem im Durch-
schnitt hochqualifizierten Handwerkerkönnen kamen.
Das Vorbilderwesen und die handwerkliche Arbeit
1) Auch Matthias Kager, der Augsburger Stadtbau-
meister und Stadtmaler, ließ sich die Entwürfe für seine
Malereien zu dem am Anfange des 17. Jahrhunderts von
ihm erbauten Augsburger Rathaus von dem Münchner
Maler Peter de Witt, gen. Candid, machen; Candid erhielt
75 Goldgulden, Kager für die Ausführung der Malereien
800 fl. Oulden.
jener Zeit sind meist wie aus einem Gusse, von einer
sicheren, in der technischen Schule der Gotik gestählten
Tradition getragen. Es wird in jener Zeit alles außer-
ordentlich schnell eine feste Regel, sowohl die Alde-
greverschen als auch die Behamschen Blattformen, das
Rollwerk, die Maureske, es wird bald ein Schema daraus,
wie eine Weis und regula bei den Meistersingern.
Daß darin der Verfallskeim lag, hat sich später gezeigt,
als sich diese festen Regeln, wie die Säulenordnung,
mit den Zunftgebräuchen vermischten und schließlich
zur leeren Schablone wurden1).
Bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts erscheinen
die Ornamentstiche, aus Italien, Frankreich und den
Niederlanden strömen sie in Deutschland zusammen
und treffen sich hier mit der reichen Produktion der
deutschen Ornamentstecher. Die zeichnerische Tech-
nik des Kupferstiches selbst entwickelt sich aufs höchste
und läßt der ornamentalen oder architektonischen Phan-
tasie die Zügel schießen, so daß die Technik der prak-
tischen Arbeit oft gar nicht mehr mitkommen kann.
War es dieser Überschwang, der die Beziehung zur
praktischen Arbeit verlor, daß dann wieder eine
Stockung einsetzen mußte? Oder war es die allgemeine
kunstgewerbliche Abrüstung nach den napoleonischen
Kriegen, die das bewirkte? Für die Stockung am An-
1) In Rostock z. B. war es bis an den Anfang des 18. Jahr-
hunderts Zunftgebrauch der Maler, daß, wenn ein Maler
einen Plafond zu malen hatte, die ganze Malerzunft vor Be-
ginn der Arbeit zu ihm aufs Gerüst stieg, sich vom Auf-
traggeber mit Bier und Tabak bewirten ließ und nun mit
in Falten gelegten Stirnen beriet, wie die Decke bemalt
werden solle. Es kam freilich allemal einunddasselbe her-
aus: in die Ecken Kränze mit Engeln und Sternen, in die
Seitenmitten je eine Lyra usw. Überreste der alten zünf-
tigen Beschaumeistereinrichtung und eben der durch die
Ornamentstiche begünstigten Regeln sind in dieser Ver-
steinerung noch deutlich genug zu erkennen.
185
Lichtwarks Auffassung gelten lassen, daß das Nürn-
berger Rathaus 1521 nach Dürers »gemachtem vi-
sier« inwendig von anderen, ungenannten Nürnberger
Malern ausgemalt ward1).
Es ist schon erwähnt, daß der Begriff des gei-
stigen oder künstlerischen Eigentums früher nicht be-
stand; Beham übernimmt z. B. skrupellos bei seinen
Planetenbüchern Einzelheiten aus Holbeins Totentanz-
bildern und solcher Nachweise ließen sich noch mehr
erbringen. Da diese Entlehnungen nicht als Miß-
brauch galten und nicht verhindert werden konnten,
so versteht es sich leicht, daß aus der Not eine Tu-
gend gemacht und der Entlehnung der Weg geebnet
wurde, eben durch die Ornamentstiche, die nichts
weiter als Vorlage sein wollten. Aber wie sie be-
nutzt, wie sie dem jeweiligen Zweck angepaßt, ver-
ändert, verkürzt, vereinfacht, umgestellt, kompiliert
wurden, das verrät doch eine geringere Spannweite
zwischen dem Ornamentzeichner und dem Hand-
werker, der dieses Ornament anwandte, als sie
zwischen einem Künstler und einem Handwerker nach
unseren Begriffen ausmacht. Wiederum hat das sicher
auch in alter Zeit nicht jeder gekonnt, und wenn
auch mehr gute als schlechte Sachen, die auf der
Grundlage von Ornamentstichen entstanden waren,
erhalten sein mögen, so weist uns das doch darauf
hin, daß die Ornamentstiche zu einem im Durch-
schnitt hochqualifizierten Handwerkerkönnen kamen.
Das Vorbilderwesen und die handwerkliche Arbeit
1) Auch Matthias Kager, der Augsburger Stadtbau-
meister und Stadtmaler, ließ sich die Entwürfe für seine
Malereien zu dem am Anfange des 17. Jahrhunderts von
ihm erbauten Augsburger Rathaus von dem Münchner
Maler Peter de Witt, gen. Candid, machen; Candid erhielt
75 Goldgulden, Kager für die Ausführung der Malereien
800 fl. Oulden.
jener Zeit sind meist wie aus einem Gusse, von einer
sicheren, in der technischen Schule der Gotik gestählten
Tradition getragen. Es wird in jener Zeit alles außer-
ordentlich schnell eine feste Regel, sowohl die Alde-
greverschen als auch die Behamschen Blattformen, das
Rollwerk, die Maureske, es wird bald ein Schema daraus,
wie eine Weis und regula bei den Meistersingern.
Daß darin der Verfallskeim lag, hat sich später gezeigt,
als sich diese festen Regeln, wie die Säulenordnung,
mit den Zunftgebräuchen vermischten und schließlich
zur leeren Schablone wurden1).
Bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts erscheinen
die Ornamentstiche, aus Italien, Frankreich und den
Niederlanden strömen sie in Deutschland zusammen
und treffen sich hier mit der reichen Produktion der
deutschen Ornamentstecher. Die zeichnerische Tech-
nik des Kupferstiches selbst entwickelt sich aufs höchste
und läßt der ornamentalen oder architektonischen Phan-
tasie die Zügel schießen, so daß die Technik der prak-
tischen Arbeit oft gar nicht mehr mitkommen kann.
War es dieser Überschwang, der die Beziehung zur
praktischen Arbeit verlor, daß dann wieder eine
Stockung einsetzen mußte? Oder war es die allgemeine
kunstgewerbliche Abrüstung nach den napoleonischen
Kriegen, die das bewirkte? Für die Stockung am An-
1) In Rostock z. B. war es bis an den Anfang des 18. Jahr-
hunderts Zunftgebrauch der Maler, daß, wenn ein Maler
einen Plafond zu malen hatte, die ganze Malerzunft vor Be-
ginn der Arbeit zu ihm aufs Gerüst stieg, sich vom Auf-
traggeber mit Bier und Tabak bewirten ließ und nun mit
in Falten gelegten Stirnen beriet, wie die Decke bemalt
werden solle. Es kam freilich allemal einunddasselbe her-
aus: in die Ecken Kränze mit Engeln und Sternen, in die
Seitenmitten je eine Lyra usw. Überreste der alten zünf-
tigen Beschaumeistereinrichtung und eben der durch die
Ornamentstiche begünstigten Regeln sind in dieser Ver-
steinerung noch deutlich genug zu erkennen.
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