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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 26.1915

DOI Artikel:
Weiss, Hermann: Künstlerische Grundlagen für das Berufs-Schaffen der Musterzeichner: Ergebnisse eines Kurses zur Weiterbildung von Berufsmusterzeichnern unter Leitung des Malers Harold Bengen
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.3871#0233

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Künstlerische Grundlagen für das Berufs-Schaffen der Musterzeichner

dem Berufszeichner die Möglichkeit des fruchtbaren Aus-
probierens verschiedener Lösungen eines Gedankens.
Dadurch wird er zaghaft und unsicher, besonders auch
in der Anwendung der Farben. Seine Form ist viel-
fach pimplich. Es fehlt die große Geste, die Kühn-
heit und der Wagemut im Ausdruck. Alles das
wird ihm anscheinend durch die Ausbildung an den
Kunstgewerbeschulen allein noch nicht gesichert, weil
die Praxis doch andere Wege geht. Aber den im
Beruf schon tätigen Zeichner darin zu festigen und
weiterzuhelfen, das dürfte zum Ziele führen!

Dabei kommt es naturgemäß ganz besonders dar-
auf an, wie der Lehrer die vorhandenen Kräfte und
Fähigkeiten zu verwerten weiß. Da es sich um Leute
handelt, die im Zeichnen schon firm sind, muß das
Hauptaugenmerk auf die Weckung eines natürlichen,
künstlerischen Empfindens und die Erwerbung eines
sicheren Urteiles gerichtet sein. Dabei muß das,
was in der Praxis fehlt, besonders gut gepflegt
werden: das Experimentieren. Nach den, in dem
Berliner Kursus gemachten Erfahrungen scheint hier-
zu der von Herrn Bengen eingeschlagene Weg —
das Arbeiten mit Buntpapieren — der allerbeste zu
sein. Der Schüler hat dabei eine unbegrenzte Aus-
wahl von Farben vor sich, unter denen sich viele be-
finden, die ihm neu sind und die er in seinem Leben
noch nie verwendet hat. Jede Farbe ist klar und aus-
gesprochen, Durch einfaches Aneinanderhalten sieht
er sofort die Wirkung. Das lange Mischen fällt fort,
die Farben werden nicht schmutzig, eine Änderung
ist durch Überkleben sofort vorgenommen. Der
Schüler lernt, sich nur auf sein Auge zu verlassen.
Mit der Schere wird nicht geschnitten, das Papier
wird gerissen. Dadurch wird vermieden, daß der
Schüler seine gewohnten Formen herstellt und in seine
alte Routine verfällt. Die Arbeit bleibt bei dieser

Methode nicht nur sauber und ausdrucksvoll, sie er-
fordert auch eine viel geringere Zeit, als beim Han-
tieren mit Pinsel und Farbe. Das war gerade bei
diesem Kursus von größtem Belang.

Da es sich bei der Vorprüfung herausstellte, daß
die von den Schülern in der Praxis bisher hergestellten
Muster zumeist eine schlechte Gesamtaufteilung der
Fläche und eine nicht genügend abgewogene Flecken-
wirkung zeigten, mußte also das sichere Gefühl für die
gute Teilung der Fläche geweckt werden. Daher wurde
zuerst die Aufgabe gestellt, eine Fläche durch Streifen zu
beleben, der Schüler merkt dabei sofort, daß es nicht so
einfach ist, ein gutes Streifenmuster zu bilden. Die einzel-
nen Abstände zwischen den Streifen, die Breite der Strei-
fen selber, die Quantitäten einer neu eingesetzten Farbe
müssen zueinander abgesetzt und abgewogen werden.

Dann wurde als nächste Aufgabe die Aufteilung
einer begrenzten Fläche vorgenommen. Es wurde
ein Rechteck — etwa ein Teppich mit einem Mittel-
stück und Rand — aufgeteilt, und dadurch belebt.
Die Belebung besteht in der Hauptsache in der Teilung
selber. Dann wurden Schmuckformen gesucht. Zu-
nächst wurden nur Seitenansichten und Aufsichten
einer Blume gewählt. Sie wurden nebeneinander ge-
setzt, wobei aber ganz besonders die große Wichtig-
keit der negativen Silhouette, das sind die Zwischen-
räume zwischen den einzelnen Formen, betont wurde.
Der Schüler sieht dann bald ein, daß bei einem Flach-
muster die Zwischenräume als Flecke für die gute
Wirkung des Musters denselben Wert haben, wie die
Blüten- oder sonstigen Formen, die er anwendet.

Auf diese Struktufenübungen, aus denen der Schüler
den Aufbau des Musters kennen lernt, folgten dann
Übungen, bei denen die Phantasie benutzt wurde. Es
wurde frei aus dem Gedächtnis eine Ranke, ein Stil
mit Blättern und Blüten entworfen. Sodann mußten

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