Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 26.1915

DOI Artikel:
Weiss, Hermann: Künstlerische Grundlagen für das Berufs-Schaffen der Musterzeichner: Ergebnisse eines Kurses zur Weiterbildung von Berufsmusterzeichnern unter Leitung des Malers Harold Bengen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3871#0235

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das kommt davon, daß dabei nur das Auge arbeitet. So
entstehen Muster, deren Motive durchaus nicht mehr
naturwahr sind, die sich aber in ihrer Qesamtwirkung
zu einem feinen künstlerischen Akkord vereinen.

Es ist wohl denkbar, daß diese Methode auch ihre
Gefahren hat, zumal wenn sie am falschen Fleck an-
gewendet wird. Im vorliegenden Falle, wo es sich
darum handelte, die durch die Praxis ihrer Berufstätig-
keit eingeschnürte Phantasie der Zeichner neu zu be-
leben, zum freieren und kühneren Arbeiten anzuregen
und ein sicheres Gefühl für die Grundlagen der künst-
lerischen Wirkung eines Musters zu erziehen, war sie
geradezu glänzend. Die Zeichner, die sich derart üben,
werden ihre tägliche Berufsarbeit ungemein bereichern.
Es ist der, gerade für sie so wichtige Vorteil dabei,
daß sie nicht auf eine bestimmte formale Richtung
eingefuchst werden, sondern im Gegenteil, eine ab-
solute Freiheit in der Auswahl und in der Verarbei-
tung der Motive haben. Der Streit um den Stil ist
dabei völlig ausgeschaltet. Es ist natürlich trotzdem
ein »modernes« Schaffen im besten Sinne des Wortes.

Bengen ist in konsequenter Durchfühung seiner
Theorie von der ausschlaggebenden Bedeutung der
Fleckenwirkung dazu übergegangen, dem Beispiele der
alten Musterung zu folgen, wie wir sie in unseren
Stoffesammlungen so häufig finden. Er hat auch Muster
mit Landschaften und Menschen- und Tierdarstellungen
schaffen lassen. Die Landschaft darf natürlich keine
Perspektive haben. Die Tiefenwirkung würde die
Fläche durchbrechen. Auch die Landschaft wie das
Tier und der Mensch sollen nur interessante Flecke
im Muster sein, die an eine Stelle gesetzt wurden, wo
ein Fleck fehlte, der aus irgend einem Grunde nicht
mit einer Blume oder etwas ähnlichem gefüllt werden
sollte. Diese Motive dürfen natürlich nicht wichtiger
im Gesamtmuster sein, als jede andere Form. Sie
sind nichts anderes als ein ornamentaler Bestandteil
des Musters. Der Schüler muß sich beim Entwerfen
solcher Muster ganz vom naturalistischen Vorbild los-
sagen und sein Erinnerungsbild ganz den linearen
und farbigen Bedingungen des Musters unterordnen.

Wegen Mangel an Zeit waren diese späteren Übungen
sehr knapp bemessen. Besonders auch das Studium
guter, alter Vorbilder konnte leider nicht mehr in aus-
reichender Weise betrieben werden. Das ist an sich
zu bedauern, weil gerade das für die Beeinflussung
der zeichnerischen Arbeit im guten, künstlerischen
Sinne von großer Bedeutung ist. Man wird dem Vor-
büderunwesen, wie es in den Zeichenateliers grassiert,
nur dadurch gründlich zu Leibe gehen können, wenn
man dem Zeichner dafür etwas Besseres gibt, mit dessen
Hilfe er den Anforderungen des kaufmännisch ge-
leiteten Betriebes Genüge leisten kann. So wie die
Dinge heute in der Kunstindustrie und im Kunstge-
werbe liegen, wäre es ein unmögliches Verlangen, den
Musterzeichner ohne Anregung Muster entwerfen zu
lassen. Das Tempo und die Intensität seiner Arbeit
sind durch die Produktionsverhältnisse, auf die er
keinen oder nur wenig Einfluß hat, da er Angestellter
ist, bedingt. Aber wenn in ihm das Verständnis für
die richtige, in gutem Sinne zweckmäßige Verwendung

guter Vorbilder geweckt und gepflegt wird, dann kann
das viel beklagte Unwesen des gedankenlosen Kopierens
und Ausschlachtens der Motivensammlungen sehr ein-
gedämmt werden. Die Bengensche Methode scheint
dazu vorzüglich geeignet zu sein. Sie erzieht zur
Selbständigkeit des Denkens, die die Voraussetzung
ist für die wirklich fruchtbare Benutzung guter Vor-
bilder bei der Arbeit. Der Zeichner wird dadurch
befähigt, das Wesentliche, d. h. den Aufbau des Musters
herauszufinden und bleibt nicht am Einzelnen hängen.

So haben sich uns hier Wege aufgetan, die dem
so ersehnten Ziele der künstlerischen Befruchtung auch
jenes Teiles der kunstgewerblichen Produktion, die das
fabrikmäßig hergestellte Massenerzeugnis auf den Markt
bringt, zustreben. Es kommt nur darauf an, daß das,
was in dem Sonderkurse für stellenlose Musterzeichner
angebahnt wurde, nicht lediglich eine Kriegsarbeit
bleibt. So groß zweifellos der Nutzen für jeden Teil-
nehmer am Kursus ist, so war doch ihre Zahl so be-
schränkt, daß für die Allgemeinheit dabei nichts weiter
herauskommt, als die Erfahrung, daß es möglich ist,
Schule und Praxis auf diesem Gebiete in ein gutes
Verhältnis zu einander zu bringen.

Es mußte schon von jeher als ein Mangel emp-
funden werden, daß mit dem Eintritt des Zeichners
in die Berufspraxis die Beziehungen zwischen ihm und
der Schule vollständig abgebrochen werden. Das ist
um so schwerwiegender, weil der Zeichner im Berufe,
selbst wenn er der hoffnungsvollste Schüler war, ganz
Neues zu lernen hat. Und das, was das wertvollste
am Schulbesuch ist, nämlich das längere Verweilen
in einem rein künstlerischen Milieu, läßt in seinen
Wirkungen bald nach. Darum würde es sich empfehlen,
überall Einrichtungen zu schaffen, die den durch die
Praxis gereiften und selbständiger urteilenden Zeichner
wieder zeitweise an den frischen Born der reinen Kunst
heranbringen.

Die ständige Einrichtung periodischer Kurse zur
Weiterbildung berufstätiger Kunstgewerbezeichner wird
gewiß auf große technische und wohl auch auf finan-
zielle Schwierigkeiten stoßen. Die darauf verwendeten
Mittel würden sich aber reichlich verzinsen. Die Teil-
nahme an den Kursen müßte so leicht als möglich ge-
macht werden. Der Unterricht sollte am besten un-
entgeltlich sein. — Voraussetzung für den Erfolg ist
auch die sachgemäße Organisation. Es ist nicht da-
mit getan, daß die oder jene Kunstgewerbeschule ein-
fach einen Abendkursus aufmacht und die Zeichner
dazu einlädt. Dann kommen nur wenige. Wenn etwas
Ersprießliches geschaffen werden soll, dann müssen
die Vereinigungen und Verbände der Arbeitgeber und
Angestellten zur Einrichtung der Kurse hinzugezogen
werden. Mit ihrer Hilfe kann eine größere Zahl er-
faßt werden — vorausgesetzt natürlich, daß auch die
geeigneten Lehrkräfte vorhanden sind.

Die Erfahrungen mit dem Bengenschen Kursus
in Berlin können jedenfalls zur Nacheiferung an-
spornen. Wenn es sich ermöglichen ließe, sie nach
dem Kriege auch für die Allgemeinheit nutzbar zu
machen, würde es jedenfalls für die deutsche Kunst-
industrie von größtem Nutzen sein.

— 228
 
Annotationen