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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,1.1926-1927

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Heft 1 (Oktoberheft 1926)
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Ortwin Rabe, Paul: Daniel Chodowiecki: zum 200. Geburtstag des Künstlers am 16. Oktober
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Gregori, Ferdinand: Die Liebe zum Theater
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https://doi.org/10.11588/diglit.8881#0027

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selber nie recht erkannken Grenzen der behaglichen Häuslichkeit, der lebensnächsten
Wirklichkeit und der einsachen Natur blieb, traf er den richtigen Ausdruck.

Das große Derdienst Daniel Chodowieckis bleibt, dem Realismus in der Kunst zu
einem Durchbruch verholfen zu haben. ^ln einem Iahrhundert, das für Deutsch-
lands bildende Kunst das schwächste war und als das am wenigsten fruchtbare und
nur als blbergangszeit gelten muß, war dieser eine Mann der einzige, der im Gegen-
>atz stand zu den aufgeweichten Manieren der Schulübungen und Akademie-Getriebe.
Hier mußten die Zeitgenossen notgedrungen etwas NeueS sehen, das sie begeistern
und ihnen wie ein nnerreichbarer Gipfel deutscher Zeichenkunst erscheinen konnte.
Hier konnten auch noch spätere Zeiten dankbar und beglückt genießen, die in der
Wirklichkeitskunst, auch wenn sie noch so beschränkt und eng im Gehaltlichen auftritt,
die höchste Darstellungsform sahen. Aber nichts ist verhängnisvoller als das starre
Nerharren bei übernommenen Urteilen, und was für die Zeit des Zopfes, des Biedersin-
nes und der Bürgerlichkeit galt, hat kaum mehr Geltung für das Heute und Jetzt.

Die Liebe zum TheaLer s

Bon Ferdinand Gregori

^^^-^er das Thcater liebt, wie es geliebt sein will, der muß schon ein großes,
T ^beständiges und weitgeöffnetes Herz haben. Was alles soll da nicht hinein!

Wieviel materielle Tatsachen, wieviel glückliche Möglichkeiten; und ander-
seits: die unerfüllten Hoffmmgen und schmerzlichen Enttäuschungen dürfen nie die
Oberhand gewinnen.

Zum Theater gehört ja nicht nur, wie etlva bei der Malerei und Plastik oder bei
eineni beträchtlichen Teile der Dichtung und Musik, der eine schöpferische Künstler
nnd sein — anorganischeS — Material; zu einer Theaterwirkung trägt der Dichter
und Musiker, wenn er überhaupt dabei ist, bloß einen Bruchteil bei: in der Haupt-
sache ist's ein ganzer Komplex organischer und anorganischer Kräfte, der, fortwährend
um Dorherrschaften kämpfend, seine bunten Gewichte temperamentvoll in die zitternde
Wagfchale wirft. Zuerst der Schauspieler, der die ganze Macht an sich reißen
möchte und sich deshalb gegen Dichter, Regisseur, Maler, Kostümschneider, Be-
leuchter, Requisiteur, ja, manchmal gegen den letzten Arbeiter zur Wehr setzt, weil
der einen Fcnsterriegel auS Nachlässigkeit nicht zurückgeschoben hat; der Schau-
spieler nochmals in seinem Derhalten gegen die mitspielenden Kollegen, wenn sie
ihm nicht zu Willen sind, und ein drittes Mal gegen daS Publikum, das seine Ab-
sichtcn nicht oder falsch auffaßt. Da sind ferner die übrigen Faktoren, die ich ge-
nannt, Dichter, Regissenr usw., die nun wieder mit dem Schauspieler und unter-
einander inS Handgemenge kommen, so daß eine Aufführung, die als Einheit, als
lückenloseS Ganzes erscheint, nahezu unmöglich und jedenfalls sehr selten ist. Immer-
hin, welche Möglichkeiten des Zusammenwirkens!

Neuerdings rütteln auch noch Film und Rundfnnk am Bestande des Theaters.
Aber was immer dem Film an Bildhaftigkeit, wie sie dem eigentlichen Theater
versagt ist, gelungcn sein mag und noch weiter gelingen werde, wie klar und sym-
bolisch sich das gesprochene Wort durch den Rundfunk übertragen lasse: beide können
im bestcn Falle Schrittmacher für das Theater werden, indem sie seine wichtigsten
Komponenten einzeln bis zur Dollendung ausbilden (nämlich Gebärde und Klang), nie
aber Ersatz: ihre Ziele müssen andere sein, dank ihrer anderen Mittel; daS Theater
braucht ihretwegen noch lange nicht Konkurs anzusagen oder sich auch nur zeitweise
unterlegen zu fühlen.

Es ist freilich im letzten Jahrzehnt ein bißchen viel zusammengekommen, was die
Teilnahme mancher gesellfchaftlichen Schichten, die sich früher dem Theater zu-

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