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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,1.1926-1927

DOI Heft:
Heft 1 (Oktoberheft 1926)
DOI Artikel:
Weippert, Georg: Gestaltwandel der Wirtschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.8881#0034

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GesialLwandel der WirtschafL

Don Georg Weippert

^^>ede Wirtschaft, die primitivste sotvohl als auch die komplizierteste, hat zum An-
laß rein biologische Triebe, wie Drang nach Nahrung, Kleidung, Behausung.

--^^Aber das Wie der Deckung dieser Bedürsnisse unterliegt dem Wandel und isi ab-
hängig von dem geistigen Habitus einer Epoche. Dieser Habitus bestimmt die Form der
Wirtschast, gibt der Wirtschaft ihren Stil. Nur unter einer jeweils ganz bestimmten
geistigenAtmosphäre entstehen dieseFormen.Jn derWirtschastsgesinnungdesromanisch-
germanischenKulturkreises bedeutet dieEpoche derRenaissauce eine Nahtstelle. Was vor-
her liegt, steht unter dem Zeichen der Gebundenheit, was folgt, unter dem der Freiheit.

Jn der gebundenen Wirtschaft ist nun — abgesehen von Schattierungen — der Wirt-
schaftszweck nicht vom gesamten System der LebenSzwecke zu trennen. Die WirE
schaft ist eingegliedert, ist dienend. Und ebenso ist der Wirtschastsmensch nichl verab-
solutierter kleinster Teil, nicht Eigenwille. Er ist nichts für sich, vielmehr ist er An-
gehöriger einer Gruppe, er ist Glied. Seine Tätigkeit steht unter dem Prinzip der
Einordnung, er will nur Glied sein im Ganzen. Diese Grundeinstellung gibt der Wirt^
schaft ihre Form. Sie ist Bedarfswirtschaft, sie ist der Erhaltung gewidmet. Die
reinste Ausprägnng erfährt sie in der patriarchalischen Hauswirtschaft. Nicht Fesseln-
sprengen, sondern Maßhalten ist das gestalkende Prinzip. Auch die Zunftwirtschaft
des Mittelalters wird noch von dieser Einstellung beherrscht.

Man hat in dieser Wirtschaftsform fchon das Geld, den Taufch, den Markt. Aber
das Geld ist die umstürzlerische, die „unruhige" Macht. Man kennt die Gefahr und
unterbindet sie. — Jede Wirtfchaft bedeutet Bewegung, aber die Bewegung in der
Epoche der Gebundenheit ist eine endliche, eine zyklische Bewegung. Mit allen Mitteln,
besonderü dem deS Zinsverbots, der Schaffung des gerechten PreiseS, wird die unend-
liche Bewegung, die lineare Bewegung, auszufchalten versucht, denn Erhaltung heißt
das Prinzip, nicht Fortschritt.

Das Geld ist Tauschmittel. Als Tauschmittel ist es Zirkulationsmittel und als solches
mobilisiert es die Güter. Gerade in der Mobilisierung aber besteht eine der Gefahren.
Gleichzeitig ist das Geld Maßstab, die Güter werden vergleichbar. Nun erhebt sich
das Geld über die Güter. Das Geld erhält eine Vorrangstellung, denn es ist Wert-
messer. Als solcher wird es Faktor des Begehrens, es wird das „Gut" schlechthin.
Das Geld als Gut schichtet den Sinn des Wirtschaftens um.

Die Epoche der Bedarfs wirtfchaft — die „Dkonomik" im aristotelischen Sinn —
ist zu Ende, und die „Chrematistik", dieGeId wirtschaft bricht an. Erzeugt wird nun
nicht mehr für den unnüttelbaren Bedarf, erzeugt wird für den Markt, denn nur durch
den Tausch kann man zum Geld gelangen. Die Person des Marktes ist der Händler.
Durch die Marktproduktion wird jeder Erzeuger zugleich auch Händler. Der Umfang
der Produktion aber wird maßlos, denn produziert wird nicht mehr für den genau ab-
zumessenden Bedarf. Gab bisher das Bedürfnis das Motiv zur Produktion, so
wird nun der Gewinn das treibende Motiv und der Bauplan der Wirtschaft wird
ein völlig anderer. Die Wirtfchaft verliert mehr und mehr ihren Mittelcharakter und
wird Selbstzweck. Die Gebundenheit findet ihr Ende, denn das Streben nach Gewinn
bedarf der Freihei't. Damit verfchwindet auch die Statik aus der Wirtschaft. Wechsel,
Kampf, Fortschritt sind nun die Charakteristika, nicht niehr Ruhe. Jndem sich zur
religi'ösen und geistigen Befreiung die ökonomische gesellt, wird der Keim gelegt zu
einem Prinzip ökonomischer Anarchie. Die Produktion für den Markt schafft die
Figuren des Händlers und des Unternehmers. Die Energie der Zeit personifiziert
sich vorwiegend im Unternehmer, der Erwerbsgeist schafft den Händler, der mit der
Produktion in keiner Weise mehr in Beziehung steht.

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