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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,1.1926-1927

DOI Heft:
Heft 2 (Novemberheft 1926)
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Popp, Josef: Moderne Bildnerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.8881#0102

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lassen, nnter dem geistigen Antrieb nnd Anftrieb verändert zu werden, nnr schmieg-
sames Organ der Seele, der sie folgen muß, der Seelenstimme nnd -stimmung. Ver-
zweiflung nnd Enttäufchung haben den ZÜ jährigen Künstler in den Tod getrieben.
Auf einem realeren Grund steht di'e Geistigkeit von Barlach, in den man allzuviel
hineingeheimnist hak. Wer sich an den russischen Bauern inspiriert, der kann ein
Offenbarer des Dumpfen, Schweren, Befangenen im Menfchen werden; der kann
zeigen, wie der Seele aus dem Leib Hemmungen und Belastungen erstehen, aber er
wird nicht in die Welt des Metaphysischen eindringen. Barlach bringt dieses eben
Angedentete überzeugend zur Anschauung; ja, er steigert es gleichsam durch die schwe-
ren Gewänder, die er seinen Gestalten gibt. So muß sich der innere Mensch nicht nur
durch seinen Leib, auch noch durch dessen Umhüllung zur Entfaltung seines physifchen
nnd psychischen Lebens erst durcharbeiten. Aber gerade hieraus erstehen Spannungen,
die sehr intensiv sind. Eine seltsame Einsamkeit umgibt alle diese Menschen und
trennt sie sogar voneinander, innerlich und äußerlich, Wenn sie sich gruppieren. Jn
Barlachs Reliefs kommt dies besonders zur Anschauung. Er gibt nur ein Neben-
einander nnd Übereinander der Gestalten, aber nie ein Zueinander nnd Jneinander.
Eigenarti'g ist, wie er die Zustände der Freude, Trauer, Sehnsucht, selbst den Fana-
tismus, durch das Stehen, Gehen, Liegen, Sitzen zu steigern weiß; andererseits wird
selbst daS Plumpe durch ihn gelockert, ja schwebend. Ganz anders gibt der Schwei-
zer Haller das Massige im Körper, bluk- und saftvoller, getragen von kraftvoller
Tektonik. Die feft zusammengepreßten Schenkel, die beinahe platzenden Brüste seiner
Frauen werden durch die pralle Spannung ihres Stehens, Sich-Streckens noch er-
giebiger, wie die Sehnsucht, Verehrung nnd Andacht dieser Menschen voll schweren,
süßen Weines erscheint. Um seiner Klarheit und Kraft willen ist Haller einer unserer
allerersten Architekturplastiker. Fiori, eine merkwürdige Mischung auS romanischem
Vater und deutscher Mutter, geht bis znr mannequinhaften Vereinfachung der
menfchlichen Form, um ihre Beweglichkeit fast wie einen beliebi'g verstellbaren mecha-
nischen Apparat zu zeigen. Erfüllt er sie mit Geistigem, wirken sie wie Puppen, die
Menschen werden möchten. Auf dem Grund solcher Bildungen kehrt er dann wieder
zur Natur zurück, bleibt aber noch wesentlich einfach, das Dolumen straff gedrängt
gebend. So wird seine dralle „Ursula" eine bäuerliche, beinahe kokette Eva. Jm Zick-
zack dreht sich die „Tänzerin". Der „Jüngling" reckt sich in fast unendliche LiebcS-
ferne. Jn anderen Gestalten wird Fiori noch wirklichkeitsnäher, bald stiller, bald auS-
strömender, aber immer auf der Erde bleibend. Seine jüngste Wendung zeigt dieS noch
deutlicher.

E. Scharsf wurde der Kubi'st der deutschen Plastik, hi'erin oft ebenso interessant wie
selbständig. Auch im Torso hat er es verstanden, ein „Stück" Körper dynamisch so
zu laden, daß es wie ein Ganzes erscheint. DortrefflicheS gab er durch seine fast
graphische Flächenbehandlung, die die Form umschmeichelt nnd einhüllt, waS jetzt
bis zur Verwaschenheit und Auflösung geht. Jm Bildnis von schlagender Charakte-
ristik und geschmackvoll, auch im Kopfzuschnitt, übersteigert er sich hierin in dcn
letzten Jahren peinlich. Man hat bei ihm mehr den Eindruck deS intellektuellen Aus-
probens als innerlichen MüssenS. Archipenko ist ein Hauptvertreter der abstrakten
Plastik. Er treibt das Funktionelle so weit, daß er von der Naturform fast nur ge-
wisse Linien, Flächen, Volumen- und Raumwerte gelten läßt, mit deren Krümmungen
und Spannungen er unö dynamische Erlebnisse vermitteln will. Unter dem Einfluß
jüngster Russen und Franzosen treibt er das bis zur Negation der menschlichen Form,
macht auS ihr ein ingenieurmäßigeö Gerüste, während er gerade als Russe stärker ist,
wenn er für sein seelifcheS Entäußerungsbedürfnis sich mehr an die Wirklichkeitsform
hält. Konkreter, derber, naturburschenhafter ist der Deutsche Balling, der die Massen
sich ineinander verbeißen, aufeinandertürmen, übereinanderwirbeln läßt, Raum und

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