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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,1.1926-1927

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1927)
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Berrsche, Alexander: Beethoven: ein Erziehungskapitel
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https://doi.org/10.11588/diglit.8881#0405

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aller Kunsi nichk auf Lrgendwelchen Methoden, sondern auf Begabung und
Gnade beruhe. Freilich würde ich in demselben 2ltem hinzuseHen, wie sehr
es mir ferne liegt, aus meincr Überzeugung von der grundsäHlichen Begrenzt-
heit wissenfchaftlicher Erkenntnis etwa das Recht herzuleiken, die Arbeiten
derer gering zu achken, die sich um eine Erweiterung dicser Grenzen bemühen.
Es isi dem Menfchen geseHk, zu sireben und zu forfchen, und daß er diesem
Gebote gehorcht, nicht weil cr glaubt, eine Ankwork auf die leHten Fragen zu
finden, sondern im Gegenteil, obwohl er weiß, daß er sie nie finden wird,
das gerade macht seine Tragik und seine Würde aus. Aber: ein Anderes gilt
für den, der Wege bahnt, ein Anderes für den, der sich auf diesen Wegen
niederlassen will. Die Jugend, die so gerne und freudig an fertige Erkennt-
nisse glaubt, bedarf gegenüber kunsiwissenfchaftlichen Theoremen eincsTalis-
mans, einer Skepsis der Ehrfurcht vor dem Unerforfchlichen. Gerade das
Versiändnis für Beethovens Lebenswerk ift seit langem bedroht durch Erklä-
rungsversuche, die das Wesentliche nichk sehen, und die um so weniger ver-
siummen wollen, je fchiefer sie sind. Schon zu Beginn dieses Iahres, in dem
wir die hundertsie Wiederkehr seines Todestages erleben, hat sich in einer
Reihe von Zeitfchriften sozusagen präludierend das Auftauchen eines altcn Miß-
versiändnisses angekündigt, jener längsi widerlegten Meinung, als besiehe das
Besondere der Beethovenfchen Musik darin, daß sie „nichk nur Musik" sei,
sondern bestimrnke poetifche oder weltanfchauliche Fdeen, also Fdeen außer-
musikalifcher Rkatur, darsiellc und verkünde, und daß das richtige Berständnis
der Beethovenfchen Werke sich nur dem erfchließe, der diesc außermusikalifcheu
Ideen kenne und imsiande sei, ihrer musikalifchen Abwandlung und Ausdeu-
tung zu folgen. Diese antimusikalifche (und antchhilosoghifche) Ausiassung
wird immer noch von zahlreichen Musikgelehrten und Musikfchriftsiellern ge-
teilt und als unantasibares Dogma uüt viel Geisi und Zähigkeit verfochken.
Ia, man kann sagen, daß sie das Glaubcnsbckenntnis der überwiegendcn Mehr-
heik derer ist, die heute übcr Musik dozieren oder fchrciben. Und wen dicse
Tatsache erfchüttert, dem sei zum Trosi das arx;umentum acl kmminem an-
gcboten, daß immerhin der bedeutendsie Komponisi und der bedeukendste Theore-
Liker der Gegenwart, Hans PfiHner und Heinrich Schenker, auf
der anderen Seike siehen. Aber das isi freilich noch keine Antwort. Sehen
wir uns die feindliche These genau an! Sie wendet sich (wie alles, was über
künsilerische Dinge w i s s e n s ch a ft l i ch gesagt werden kann) an zwei
verfchiedene Seiten unseres Wesens: an uuser intuitiv-künsilerifches und an
unser logifch-methodifches Bermögen. Wir werden uns demgemäß auf zwei-
fache Weise zur Wehr zu seHen haben: als Musiker und als denkende Men-
fchen. Und wir werden als Musiker so dreisi reden dürfen, wie wir als gcisiig
diszipliiüerte Leute behutsam verfahren müsscn.

Unter wirklich musikalifchen Menfchen, die nicht leben können, ohne zu musi-
zieren, gibk es über unser sirittiges Thema keine Erörkerungen; es ezüsiiert gar
nicht für sie. Sie hörcn Musik aktiv mik, nicht als „tönend bewegte Form",
wie es Hanslick meinte, sondern als etwas einzig Geisiiges und Seelifches, das
zu dem Aufnahmeorgan des Begabten mit einer Klarheit nnd zugleich höchsien
Disierenziertheit spricht, die einer ÜberseHung weder bedarf uoch ihrer fähig isi.
Der Musiker versieht ilituikw allcs Musikalifche als ein rein Musikalifches,

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