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Kunstwart und Kulturwart — 27,4.1914

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Heft 19 (1. Juliheft 1914)
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Avenarius, Ferdinand: In Sachen Wynekens, [1]: die "Freideutschen", Wyneken und ich
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Schumann, Wolfgang: Paul Ilgs Romane
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https://doi.org/10.11588/diglit.14290#0044

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sames Amt müßte sich über alles unterrichten, was für die freideutsche
Bewegung wichtig wäre, und müßte in einer Zeitschrift seinerseits
die freideutsche Iugend von den wichtigen Kulturbewegungen der Gegen«
wart unterrichten.

Aber all das könnten wir weiter reden, wenn meine Auffassung Anklang -
fände. Die Bedeutung, die eine solche Gesamtorganisation für das deutsche
Volk des nächsten Geschlechtes gewinnen könnte, halte ich für unab-
sehbar groß. Wir gewännen zunächst unter den führenden Gebildeten
ein nicht nur unterrichtetes und erzogenes, sondern auch entwickeltes Ge»
schlecht. Wachsen die Männer heran, die solche Organisation freideutsch
durchsühren könnten? Ist der bestehende Bund der „Freideutschen Iugend^
gewillt und imstande zur Vorarbeit? Das weiß ich nicht, aber das
hoffe ich.

In einem folgenden Aufsatz wird ein andrer Mitarbeiter des Kunst-
warts Wynekens Schriften und damit seine Gedanken kritisch besprechen. A

Paul Jlgs Romane

^H^aul Ilg ist seit langem kein Unbekannter mehr, ist aber doch nicht so
Hbekannt, wie es die Kraft und der Gehalt seiner Prosa eigentlich er-
^^warten läßt. Mancherlei Arsachen mögen hierzu zusammengewirkt
haben. Ein wenig steht ihm wohl im Deutschen Reich das ausgesprochene
Schweizertum seiner Sprache und seiner psychologischen und sozialen
Thematik im Wege. Mehr mag schon ins Gewicht fallen, daß seine durchwegs
stark von sozialen Gefühlen durchsetzten Werke gerade im sozialphilosophischen
Sinne nicht „erfreulich" wirken; eine ungelöste Spannung zwischen Arm
und Reich, Empfindlich und Rücksichtlos liegt über ihnen und erregt die
oft heftigen Zwiespalte der Erzählung allein oder mit andern Spannungen
zusammen, und diese anscheinend geflissentlich erregte Spannung gehört
nicht zu den Lieblingbedürfnissen weiter Leserkreise. tzierzu kommt noch
ein drittes: Der Gegensatz zwischen Empfindlichkeit und Rücksichtlosigkeit,
Weichmut und tzärte, den Ilg mit Vorliebe zeichnet, hat leicht einen
seelisch angekränkelten Zug. Im seelischen ALemraum der Ilgschen Ge-
stalten duftet es gelegentlich leise wie von Krankheitstoffen, deren Keime
schon früh entstanden sind und die ruhige Entwicklung der seelischen Kräfte
verwirrt haben; so entstanden „problematische Raturen", und nun scheint
es, daß der Verfasser, gewollt oder ungewollt, gerade für diese Züge eine
gewisse Vorliebe habe, er verlegt anscheinend die „Schuld" lieber in das
Gefüge der bitteren sozialen Umstände und auf die Seite der Reichen,
Kräftigeren; wodurch denn im Leser ein Zwiespalt entsteht, da er unmöglich
diese Sympathie von vornherein teilen kann, die der Verfasser so nahe-
legt, oder mindestens wohl eine tiefere, gelassenere Gerechtigkeit herbei-
wünschen mag. Mit andern Worten: Ilg hat im Stofflichen nicht jene
Aberlegenheit und Ruhe, die man gern als „episch" bezeichnet und die
zum Beispiel sogar Andersen-Nexös aufwühlender Sozialdemokraten-Roman
hat; er hat nur die künstlerische Kraft, mit aller Anstrengung Licht und
Schatten schließlich und endlich doch noch gerechter zu verteilen als, seine
Reigung vielleicht möchte, aber nicht die Kraft, diese Anstrengung völlig
zu verbergen; gelegentlich bricht. auch die Gesinnung des Verfassers heftig
durch die Schranken des künstlerischen Werkes in die Gefilde der sozialen
Rhetorik, so etwa in dem Roman „Lebensdrang", wo eine fingierte Rede

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