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Kunstwart und Kulturwart — 27,4.1914

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Heft 20 (2. Juliheft 1914)
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Lose Blätter
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14290#0154

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Laß sie kommen! stelle dich
Zum Entscheid daneben;

Und dann möge nach dem Spruch,

Den der Herr gegeben,

Auf mich armes Singerlein
Seinen Stein erheben,

Wer von jeder Sündenschuld
Ledig weiß sein Leben.

Vom tzeute fürs Morgen

Gleichwertig

s begab sich aber:
daß einem Gelehrten die Lösung
eines tausendjährigen Rätsels der
Natur gelang,

daß ein andrer schweren tzerzens
auf einen Blütentraum verzichtete,

und daß ein dritter die Geliebte
schüchtern küßte.

Rnd eine sonderbare Fügung
wollte, daß dieser Dinge dreie zu
gleicher Zeit geschahen. Ganz ge-
nau auf dieselbe Sekunde.

Und da sich der Kuß und der
Verzicht und die Entdeckung aus
der Menschenbrust gelöst hatten,
wanderten sie himmelan.

Voran die Entdeckung. Sie schoß
mit ihrem Schwergewicht durch die
weiten Sternenräume. In weitem
Abstand folgte der Verzicht. Rnd
weit dahinter kam der Kuß.

Und dann begab es sich, daß der
Entdeckung Kraft ein wenig nach-
ließ, daß der Verzicht die alte Kraft
behielt und daß des Kusses Flug-
gewalt sich hob und hob.

So daß die dreie wieder ganz
genau zur gleichen Zeit bei Gott,
dem Vater, angekommen waren.

Er nahm sie prüfend in die
tzand — die Entdeckung, den Ver-
zicht, den Kuß — und wog sie und
fand sie alle drei gleich schwer.

Fritz Züricher

Johannes Müller über sich
selbst

HV n wen wendet er sich? Was
^will er? Line neue Welt-

anschauung? Line neue Religiosi-
tät, Mystik oder dergleichen? Neue
Erkenntnisse? So mancher hat diesen
oder jenen Aussatz von ihm gelesen
oder einen Vortrag von ihm gehört
und weiß das nun nicht in sein
„Gedankensystem" einzuordnen. Setzt
Iohannes Müller eine besondere
philosophische Bildung voraus oder
eine durch starke Erlebnisse gereifte
Seele? Er selbst antwortet darauf
im letzten tzeft seiner „Blätter zur
Pflege persönlichen Lebens".

Danach sieht er das „Neue^, das
er geben möchte, eben darin, daß
er grundsätzlich nichts „voraus-
setzt". Er sieht vielmehr seine Auf-
gabe im Wegräumen des Zivili-
sationsschuttes, den eine Iahrtau-
sende alte Geschichte um uns ge-
häuft hat, ein Auflösen der Kruste,
die sich um unsre Seele bildete und
diese selbst in einen ohnmächtigen
Winterschlaf bannte. Was ihn be-
wegt, ist, daß wir „so sehr in alle
möglichen Theorien verstrickt sind
und alles tzeil ausschließlich von
komplizierten Weltanschauungen und
Lebensauffassungen und von dem
darauf sich gründenden reflektierten
und konstruierten Verhalten erwar-
ten, daß man die ganze Einfachheit
dieser (von ihm gelehrten) Lebens-
art in ihrem rein praktischen Charak-
ter, in der Unmittelbarkeit tätigen
Verhaltens nicht versteht".

„Was ist das für eine neue Art
Leben? Sie besteht in einer eigen-
tümlichen Technik des Lebens und
führt zu einer tiefen Erfüllung des

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