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Kunstwart und Kulturwart — 27,4.1914

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Heft 19 (1. Juliheft 1914)
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Lose Blätter
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14290#0060

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schlleß dich an!" Lange schaute er so auf das blühende Land und hin--
über auf die wundersam besonnten Schneeberge. Einen anderen Gottes--
dienst als diesen kannte er nicht.

Vom Heute fürs Morgen

„Nnmöglich"

g^ie Basler Besprechung zwischen
^^Deutschen und Franzosen hat kei-
nen Zweck,^ so lasen wir, „denn eine
Verständigung zwischen Deutschen
und Franzosen ist unmöglich? Kein
Zeitungsmann in Deutschland ist so
verrückt, nicht zuzugeben, daß sie
nützlich wäre, keiner hat gelegent-
lich dieser jüngsten Bemühung be«
stritten, daß eine deutsch-französi-
sche Verbindung in beiden Ländern
schier unüberwindliche Kräfte an
Stoff und Geist für schöpferische Ar-
beit freimachen würde, und bei der
Wirkung der deutsch-französischen
Spannung auf ganz Europa und
drüber hinaus: freimachen würde für
die Entwicklung der Menschheit
überhaupt. Ein Bündnis über den
Wasgau hin, und alle träten in ein
neues Zeitalter der Kultur, das wis-
sen wir auch. Gleichviel: „eine Ver-
ständigung ist unmöglich", und so
sind diejenigen auslachenswerte
Phantasten, die daran denken und
dafür arbeiten.

Von welcher Gedankenkürze zeugt
solche Schreiberei! Oder aber: von
welcher Leichtfertigkeit der Berufs-
auffassung!

Daß aus sehr lange Zeit an
eine Verbündung Deutschlands und
Frankreichs nicht zu denken ist, das
wissen wir alle, obgleich wir wohl
auch alle mal irgendwo gelesen
haben, daß selbst Bismarck dahin-
zielende Pläne zuzeiten hegte —
wenn ja, jedenfalls, so hat er sie
zurückgestellt. Denken wir aber an
eine Zeit nach fünfzig, denken wir
meinthalb an eine nach hundert Iah-
ren. Will man all die Zeit bis

dahin hüben und drüben immer nur
den Gedanken vom Lrbfeinde fester
hämmern, bis schließlich sämtliche
Gehirne vernagelt sind? Täte man
nicht besser, die Suggestion zu lok-
kern als zu stärken? Wir bilden
und erhalten mit allen Mitteln
unsre Wehr, wir sollen und
müssen das, weil jedes tzeute
allein mit den Stimmungen des
tzeute und Morgen rechnen kann.
Die Kulturpolitiker hüben und
drüben sind aber auch dafür da,
daß sie Wandlungen in der Volks«
seele allmählich vorbereiten. Und so
lange noch in beiden Völkern ein
Kreis von Männern freieren
Blickes da ist, als der der Masse,
solange darf gehofft werden, daß er
sich vergrößert.

Aber es kommt hier nicht einmal
aufs tzoffen an. Gewiß ist doch
wohl zweierlei. Für den Beruf des
Iournalisten: daß ein Verspotten der
Verständigungsbestrebungen zwischen
Deutschland hier und Frankreich
oder England dort den Boden für
diese Bestrebungen immer mehr ver-
dirbt, während doch kein Mensch
die Nützlichkeit des „Endziels" sel-
ber bestreitet. Für den Kulturpoli-
tiker überhaupt: daß hochwichtige
Ziele angestrebt werden müssen,
ganz gleichviel ob sie „unmöglich"
erscheinen oder nicht. tzier gibt es
ja kein Berechnen, weil wir die un-
bekannten Möglichkeiten der Zu-
kunft nicht einmal mit x und y ein-
stellen können. Es gibt nur Wahr-
scheinlichkeiten. Und mögen Wahr-
scheinlichkeiten noch so gering, mögen
sie minimal sein: wo es um die
wichtigsten Iiele geht, haben wir
 
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