Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 27,4.1914

DOI issue:
Heft 21 (1. Augustheft 1914)
DOI article:
Lose Blätter
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14290#0234

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Lose Blätter

Aus Hermann Stegemanns „Himmelspachern"

^Line breite, satte Fülle von Wirklichkeit strömt dem Leser aus tzer»
mann Stegemanns Prosa entgegen. Südwestdeutsches, auch wohl schweö-
zerisches Leben in kleinen Städten und auf dem Land steht in hellem Licht
hinter seinen Werken, die gute Ausschnitte daraus enthalten. Die Land«
schaft tritt nicht voll hervor, oft verliert man sie über dem Getriebe des
Menschlichen manches Kapitel hindurch ganz aus den Augen, und nie
gewinnt sie von Dichters Gnaden einmal vorübergehend die volle Macht.
Aber die Menschen hangen oft fest an ihr, und so viel Raum ihr nach
dem Willen der Natur zukommt im Innern und in den Außerungen der
Leute, so viel wird ihr zuteil. Stegemann ist durchaus Menschengestalter,
mit einer Vorliebe für kräftige, blutreiche, tatenvolle Leute, die schaffen
und wirken und im Innern hie und da gebunden sind an Erbe oder
Lebensziel, selten oder nie frei durch Gedankenkraft. Seine Romane sind
unsentimental und unphilosophisch, nicht einmal fühlbar mit viel sozio--
logischer Absicht angelegt, aber vielleicht darum gerade echte, fehllose
Zeugnisse einer Zeit und eines Lebensstils, der einst in seiner geschichtlichen
Art mit Hilfe solcher Werke besser erkannt werden wird als durch Liefer
zielende, deren Sinn mehr im Verfasser als im Stoff lebt. Ein Werk
wie „Thomas Ringwald" ist ausgezeichnet als Roman der aufblühenden
Stadtgemeinde mit ihren sozialen Kämpfen und Zwiespältigkeiten und
ist ein ernstes Bild von dem Erfolg, der männlicher Kraft und Willens-
stärke auch im einengenden Zweckverband moderner Gesellschaftkräfte noch
winkt. Auch das Buch „Kreisende Becher" öffnet Einblicke in städtisches
Leben und Streben, und hier wie dort ist der Ausschnitt nicht zeitlich
zu kurz, immer wirkt anschaulich ein Stück Geschichte mit in die Vor-
gänge hinein, man fühlt, daß der Verfasser mehr weiß als er mitteilt,
ja man meint, er kenne wohl „die Verhältnisse" um und um und durch und
durch. Mit vollkommener Sicherheit ist jeder und jedes an den gebühren-
den Platz gestellt; Stegemann bedarf meist keiner künstlichen Anlässe,
um aus seiner Gesamtanlage einen Roman Herauszuspinnen; es ist Leben
genug im Ganzen, so daß „roman"hafte Konflikte und Wunderwendungen
fern bleiben können. Damit soll nicht gesagt sein, daß er nicht eine Fabel
in des Wortes altem Sinne zu bilden verstünde. Er kennt vielmehr
recht gut die Bedeutung packender Ereignisse und spannender Lrzählung;
zuweilen, besonders am Schluß der Romane, glaubt er allerdings nicht
ohne eine gewisse Gewalt auszukommen, mit der er dem Ablauf ein
drastisches Ende gibt — so im „Theresle" und in „Daniel Iunt". Dann
schmeckt es sogar ein wenig nach Theater. Aber alles in allem sind seine
Bildungen menschlich und sachlich zu klar und echt angelegt, als daß
er ihnen plötzlich Blut zuführen müßte.

Die beste Kraft Stegemanns kommt aber nicht aus dem Städteleben. Die
Werke, auf die wir hier vor allem hinweisen möchten, sind Menschen-
und Landschilderungen. Es ist das Elsaß, politisch ein Schmerzenskind
des Reichs, menschlich ein lebensvolles Milieu, landschaftlich ein uner-
schöpfliches Gut, aus dessen Lebensluft in Stegemanns beste Werke Kraft
überströmt. Im Elsaß spielen „Daniel Iunt", „Die als Opfer fallen",

L88
 
Annotationen