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Kunstwart und Kulturwart — 27,4.1914

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Heft 22 (2. Augustheft 1914)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14290#0330

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Vom tzeute fürs Morgen

Nohschätze in der Persön-
lichkeit

in Wort ist mir furchtbar ge-
wordeN) wenn ich es auch oft
in andern Fassungen erklingen höre,
das Wort eines großen Kinderken--
ners, das seinesgleichen nicht hat:
„Wer einen dieser Kleinen ärgert,
dem wäre es besser, daß ein Mühl-
stein an seinen Hals gehängt und
er ins Weer versenkt würde, wo es
am tiefsten ist." Glaubt ihr wohl,
daß ich oft genug in dieses Wort
mit eingestimmt habe, wenn ich ein
Kind anders als mit kindlichem Ver-
stehen behandelt hatte? Welche Be-
schämung kann größer sein, als die-
jenige über Angerechtigkeiten an
kleinen Kindern, den Blumen Gottes
begangen!

Sehen wir doch die Kinder an,
wenn sie über die Schwelle treten,
die sie fünfzehn Iahre lang vom
„bürgerlichen Leben schied^. Schied?
Abgesehen von den vielen, die schon
längst zuvor ins Ioch des Brotver-
dienens gespannt werden und recht
nahe Bekanntschaft mit dem Nacht«
schatten des bürgerlichen Lebens ge-
macht haben — wieviel Dokumente
von erlebten „Argernissen" liegen
in den Kindergesichtern.

Man kann ein harter Kriegs-
mann sein und doch in den Verdacht
der Sentimentalität bei solchen Emp-
findungen kommen. Dann etwas
anderes. Eine Frage, ein Problem.
Vielleicht für manche etwas zum
Lächeln, für andere etwas, nun,
wenigstens zum Beschäftigen für
einen Augenblick.

Daß Kummer zehrt und aufreibt,
weiß jeder. Die beste und nahr-
hafteste Kost vermag dem Körper
nicht das zu ersehen, was ihm durch
Weh und Sorgen verloren geht.

Eine frohgemute Seele — das
weiß auch jeder, bildet ihrenTempel,
den Körper, ihre Gesichtszüge, nach
ganz andrer Richtung aus, als ein
bedrückter, stets sorgenvoller oder gar
Rache brütender Mensch.

So entwickelt der Mensch aus
sich die Wärmegrade und die Rähr-
kräfte zu einem ärmlichen oder üppi-
gen geistigen Wuchs. Gibt er sich
Sorgen und Kümmernissen, Zorn
und Gehässigkeiten hin, so entwei-
chen ihm Kräfte, deren sein Orga-
nismus zum Aufbau, das heißt zur
Rmwandlung in andere Stoffe be-
darf, er verarmt also seelisch, und
sein Gesamtsein — Körper und Geist
als Einheit — kümmert.

Noch einen Grad tiefer sinkt er
herunter, wenn ihm diese Verküm-
merung zum Bewußtsein kommt und
er sich schließlich damit als etwas
Unüberwindlichem abfindet. Die
große Masse lebt in diesem Zustand.

Wer bei irgend etwas „Unüber-
windlichem" im Leben hängen bleibt,
der geht schließlich im Siechtum
unter. Lange wehrt und sträubt sich
sein Organismus, aber schließlich er-
lischt der Funke. Dabei kann der
eine an tzerzverfettung, der andre
an Unterernährung und der dritte
in einer Nervenheilanstalt zugrunde
gehen.

Alle Menschen sind zu ihrer
eigenen Existenz aufs Aberwinden
angewiesen, und zwar zur Äberwin-
dung und Verwertung all der Kräfte,
die in nicht verwandelter, roher
Form innen liegen, von innen ent-
weichen wollen. So ist Zorn eine
Kraft, die, wenn sie in der natur-
rohen Form entweicht, bekannter-
maßen Unheil wirkt wie ein durch-
gehender tzengst; dagegen wird sie
zu einer zehnmal leistungsfähigeren
Macht, wenn ihr Träger sie ver-

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