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Kunstwart und Kulturwart — 27,4.1914

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Heft 23 (1. Septemberheft 1914)
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Lose Blätter
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14290#0397

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schicken Se uns lieber ne recht lange Wurscht." Das ist in diesem Falle
das „befreiende Wort". ^

Wieder warten, wieder umsteigen. Studenten und junge Dozenten
fahren nach Leipzig, die auch „mit" wollen. Durch jedes Gespräch geht
ein Zug von frischer Luft, die den Staub und das Angemoderte aus den
Köpfen fegt und Sauerstoff aus dem Freien hereinbringt.

Aufs Leipziger Schlachtfeld. Der Mond arbeitet mit den Wolken her-
um, wir sehen Schattenheere über die Felder ziehn, riesige, ungeheuerliche
Massen allerverschiedensten Volks. Im Mondschein matt schimmernde
Generalsuniformen dazwischen. Der kleine Graue dort mit dem Dreispitz,
den kenn ich doch? Flüchtet er? Es flutet alles so lautlos vorbei, wie
Nebel im Wind. Und jetzt doch, wie aus unendlichen Zeitentiefen herauf,
ein Sausen, ein Zurufen — ein andrer Mann, Marschall Vorwärts
zieht im Geisterheer vorbei . . .

Der Mond hat sich durchgekämpft, die Welt liegt klar. Zwischen die
Bauernhäuser legen sich schon Straßen ein. Arbeiterkolonien, Fabriken.
Burgen von Handel und Industrie. Wo sie sich recken, wogte jene Oktober«
tage lang die Schlacht. Gott verzeih mir: heute zum erstenmal kam sie
mir in den Gedanken fast klein vor. Vor hundert Iahren wir zusammen
mit Russen, Schweden, Engländern gegen das eine Volk. And jetzt mit
dem Österreich gottlob nicht mehr Metternichs — wir gegen die andern
alle. Gegen mehr noch, als sie. Wir haben auf eurer Arbeit weiter gebaut,
Ahnen, die ihr hier unten schlaft. Rnd wenn ihr heut aufständet, würdet ihr
sagen: die hundert Iahre haben uns größer gemacht. Ls geht um tzeimat
und Vaterland und geht zugleich um die Welt.

Wir fahren in den Leipziger Bahnhof ein. Wo wäre in Rußland,
Frankreich, England ein Bau, der wie dieser einen neuen Geist ihrer
Völker so ohne Kulisse, ohne Putzerei und ohne Geprahl und doch so
gewaltig sprechen ließe? Das spricht er: wir brauchen euch nicht mehr,
Fremde! Wir sind es, welchen die höhere Kultur gehört, wir sind es,
die das beste Gut von Europa schützen.

Als wir ins Freie treten, verkünden Sonderblätter die Kriegserklärung
auch noch von England. Man nimmt's gelassen hin, wahrhaftig: bis
auf ein Paar vom Mob nimmt man auch das gelassen hin.

tzunderte jugendlicher Männer hab ich auf dieser Heimfahrt gehört und
keinen einzigen, der nicht des deutschen Namens würdig schien. A

Vom tzeute fürs Morgen

Amwertungen durch den
Krieg

er Krieg ist der größte Gleich-
macher nächst dem Tod. Tau-
send Zwecke räumt er beiseite und
läßt nur den einen bestehn: den
Waffensieg. Ob einer als For-
scher oder Denker der Wissenschaft
lebte, man fragt ihn jetzt nur da«

nach, ob er marschieren und schie-
ßen kann. Ob einer als Künstler
um Ansterbliches ringt, ob einer
als Lehrer Iugend und Volk auf-
wärts führt, jetzt gilt nur: was ist
er als Soldat oder als Arbeiter für
den Krieg wert? — Ist es nicht,
als sinke plötzlich die ganze Entwick-
lung, an der wir arbeiteten, zusam-
men? Haben wir nicht Grund, zu
 
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